Kanzler Scholz bricht zu seinem dritten offiziellen Besuch nach Indien auf. Die Bedeutung der deutsch-indischen Beziehungen steht im Mittelpunkt.
“Ich bin dankbar für die Freundschaft zwischen unseren Ländern.” Diese Worte wird Olaf Scholz auch bei seinem dritten Treffen mit Premierminister Narendra Modi in Delhi betonen. Der Kanzler strebt eine enge Zusammenarbeit mit Indien an, nachdem er Modi 2022 als Gast zum G-7-Gipfel in Elmau eingeladen hat. Seitdem haben sich beide Staatsoberhäupter regelmäßig international getroffen.
“Die beiden haben ein sehr professionelles Verhältnis”, erklärt ein Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Beide Nationen sind sich der Notwendigkeit bewusst, sich als wichtige Handelspartner und Verbündete in einer zunehmend instabilen geopolitischen Lage zu positionieren. “Unsere Länder sind eng verbunden, da wir ähnliche Visionen verfolgen”, betont der Kanzler während der letzten Gespräche in Berlin.
Regierungskonsultationen als vertrauensbildende Maßnahme
Die seit 2011 bestehenden Regierungskonsultationen dienen als wichtige Plattform zur Förderung des Vertrauens. Ziel ist es, Gemeinsamkeiten zu finden und Unterschiede konstruktiv zu diskutieren. Vor zwei Jahren stellte der indische Außenminister die Frage, warum Indien Interesse an europäischer Problematik haben sollte, wenn Europa nicht auf die Probleme Asiens achtet.
Die aktuelle Lage ist für beide Länder vergleichbar: Deutschland und die EU sehen sich mit den Herausforderungen eines aggressiven Russland konfrontiert, während Indien besorgt auf das wachsende militärische und wirtschaftliche Machtspiel Chinas reagiert.
“Deutschland und Indien können viel voneinander lernen, insbesondere darüber, wie Geopolitik die außenpolitischen Interessen beeinflusst”, erklärt der Experte.
Indien ist ein ökonomischer Riese
Scholz besucht ein Land, dessen Wirtschaft gerade in einer Phase explosionsartiger Expansion ist – Indien hat China als bevölkerungsreichstes Land der Welt überholt und verzeichnet fast sieben Prozent Wachstum, die höchste aller G-20-Staaten. Während Deutschland in der Infrastruktur stagnieren muss, baut Indien kontinuierlich neue Flughäfen, U-Bahn-Systeme sowie Straßen.
Diversifizierung mithilfe des indischen Partners
Im Regierungsflugzeug des deutschen Wirtschaftsministers reisen auch zehn Unternehmer mit. Deutschland ist bestrebt, vom Wachstum Indiens zu profitieren, was bereits zu einem 14-prozentigen Anstieg der Exporte nach Indien im Jahr 2023 geführt hat. Indien ist mittlerweile der wichtigste Handelspartner Deutschlands in Europa.
Zudem stehen Diversifizierung und De-Risking im Fokus: Deutschland will sich unabhängiger von China machen, und Indien möchte als verlässliche Alternative positioniert werden.
Deshalb drängt der Kanzler auf einen Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Indien, das seit 13 Jahren verhandelt wird. Ein weiterer ärgerlicher Stillstand besteht jedoch aufgrund der europäischen Anforderungen an Umweltstandards.
Modi will Rüstungskooperation
Ein potenzielles Zusammenarbeitsfeld ist der Rüstungssektor, auch wenn Russland bislang der größte Waffenlieferant Indiens bleibt. Premierminister Modi sieht großes Potenzial für eine Rüstungskooperation, besonders mit Deutschland.
Indien plant den Kauf von sechs deutschen U-Booten, was während der Regierungskonsultationen zu einem milliardenschweren Deal führen könnte.
Zudem gestaltet sich die militärische Zusammenarbeit zwischen Indien und europäischen Nationen intensiv: Die indische Luftwaffe führte kürzlich Übungen mit Eurofighter-Piloten der Bundeswehr durch.
Krieg gegen die Ukraine bisher nicht öffentlich verurteilt
In Berlin wird zur Kenntnis genommen, dass Indien den russischen Angriffskrieg nicht offiziell verurteilt hat. Außenministerin Baerbock äußerte jedoch, dass Modis Aussage auf dem G-20-Gipfel als indisches Nein zum Krieg gewertet werden könne.
“Wichtiger als Bekenntnisse ist das Verhalten Indiens, und das ist sehr klar”, merkt der Verteidigungsminister an.
Indiens Fachkräfte lukrativ für Deutschland
Arbeitsminister Heil reist ebenfalls mit nach Indien, da das erste Migrationsabkommen zwischen den beiden Ländern vor zwei Jahren unterzeichnet wurde. Dieses Abkommen gilt als Vorbild und wird als wichtig für den globalen Austausch angesehen.
Der Bedarf an Fachkräften in Deutschland steigt, und Indien bietet reichlich qualifizierte Mitarbeiter. 2023 erhielten 52.000 Inder ein deutsches Visum, was einem Anstieg von 40 Prozent im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie entspricht.
Inder sind die erfolgreichste Migrantengruppe in Deutschland. “Indien hat einen Altersdurchschnitt von nur 28 Jahren” und bietet damit zahlreiche junge Talente, die in Deutschland Chancen suchen.
Die Gespräche während der Regierungskonsultationen in Delhi, ergänzt durch die Asien-Pacific-Konferenz, bieten eine wertvolle Plattform für den Austausch. Scholz zeigt sich zuversichtlich, dass die deutsch-indischen Beziehungen eine solide Grundlage für künftige Kooperationen bieten.