Der US-Wahlkampf verdeutlicht die sicherheitspolitische Abhängigkeit Deutschlands von den USA. Die Frage bleibt: Würde ein Sieg von Kamala Harris daran etwas ändern?
Die Sicherheitslage in Europa ist heute deutlich angespannter als während der Präsidentschaft von Donald Trump im Jahr 2017. Dennoch stellen sich die gleichen Fragen: Welche Auswirkungen könnte eine erneute Amtszeit Trumps auf die Sicherheit Europas haben? Wie würden sich die transatlantischen Beziehungen entwickeln und wie zuverlässig ist die Abschreckung durch die NATO? Diese Fragen beschäftigen den Sicherheitsexperten Christian Mölling seit Jahren.
Mölling, Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, ist erstaunt, dass Europa trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine weiterhin zu wenig Verantwortung für die eigene Sicherheit übernimmt.
“Sollte Kamala Harris gewinnen, könnte die unterschwellige Hoffnung bestehen, dass die Europäer ihre sicherheitspolitische Komfortzone nicht verlassen müssen und es beim Alten bleibt”, sagt Mölling, warnt jedoch vor dieser falschen Annahme.
“Wir sind immer reaktiv”
“Die Europäer tun so, als ob die Amerikaner über ihre Sicherheit entscheiden und sie selbst machtlos sind. Sie warten mit einem reaktiven Ansatz auf amerikanische Entscheidungen”, so Mölling. Viele Amerikaner könnten diese Haltung kaum nachvollziehen und sehen Europa in der Pflicht, selbst Verantwortung zu übernehmen.
Die Forderung aus den USA, dass Europa mehr in seine Verteidigung investieren sollte, gibt es bereits seit Jahren. Heusgen, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, stellt fest: “Unabhängig davon, wer amerikanischer Präsident wird, ist klar, dass sich die USA zunehmend auf den indopazifischen Raum und die Rivalität mit China konzentrieren werden. Seit Obama hören wir: Europäer, ihr müsst eure Hausaufgaben machen.”
Trotz bestehender Unterschiede in der sicherheitspolitischen Agenda zwischen Republikanern und Demokraten, ist die grundlegende Forderung nach europäischer Selbstständigkeit in der Verteidigung ähnlich. Diese Differenzen zeigten sich besonders auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2024.
Unterstützung für die Ukraine
Heusgen weist auf Harris’ engagierte Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz hin. “Kamala Harris plädierte stark für die transatlantische Verbindung und bekräftigte die Unterstützung für die Ukraine.” Im Kontrast dazu war J.D. Vance, der einzige US-Senator, der sich nicht mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj traf und gegen weitere Unterstützung für die Ukraine eintrete.
Trump und Vance fordern eine größere finanzielle Lastenteilung in der Verteidigung mit Europa. Vance könnte hierbei sogar eine noch rigorosere Haltung als Trump einnehmen, wie Analysen nahelegen.
“Selbstgemachte Abhängigkeit und Bittstellertum”
Vance setzte sich gegen das 60-Milliarden-Dollar-Paket für die Ukraine zur Wehr und stellte zur Diskussion: “Die Europäer erklären seit drei Jahren, dass Putin eine existentielle Bedrohung darstellt, finden aber keine Antwort darauf.”
Mölling versteht die Kritik der Amerikaner: “Solange Europa keine Mittel zur eigenständigen Sicherung geschaffen hat, ist es kein attraktiver Partner für die USA. Diese selbstgemachte Abhängigkeit ist problematisch.”
Diese Warnung ist auch in Berlin angekommen. Es bleibt abzuwarten, ob US-Präsidenten endlich dazu bewegen können, Europa sicherheitspolitisch zur Verantwortung zu ziehen.