Die Kindergrundsicherung galt als größte Sozialreform der Ampelkoalition. Doch die Bundesregierung ist von einer Umsetzung weit entfernt. Was sind die Gründe und welche nächsten Schritte sind denkbar?
“Wir gehören zusammen, zusammen sind wir stark”, singen die Kinder eines Leipziger Kindergartens für die Bundesfamilienministerin Lisa Paus. Umgeben von den Kindern hört die Ministerin lächelnd zu.
Möglicherweise denkt sie, wie schön es wäre, wenn die Ampelkoalition den Refrain des Liedes als Motto annehmen könnte. Doch die Koalition hat mit Herausforderungen zu kämpfen, insbesondere bei ihrem Herzensprojekt, der Kindergrundsicherung.
“Nicht etatreif”
Einen Tag vor ihrem Besuch im Kindergarten hat der Bundeskanzler bei einer Sommer-Pressekonferenz angekündigt, dass die Umsetzung der Kindergrundsicherung in dieser Legislaturperiode nicht mehr in Aussicht steht. Aktuell diskutieren Regierung und Koalitionsparteien über erste Schritte zur Einführung: “Wie man den Weg zum zweiten Schritt formuliert, der vermutlich nicht in dieser Legislaturperiode stattfinden wird.”
Dies teilt er mit, was Finanzminister Christian Lindner bereits andeutete: “Die Zusammenführung von Behörden ist derzeit nicht etatreif. Darüber wird weiterhin gesprochen.” Die Kindergrundsicherung wird daher wie ursprünglich geplant zunächst nicht realisiert.
Geschrumpfte Reform
Die Ministerin hat unermüdlich erklärt, dass staatliche Leistungen wie Kindergeld und Kinderzuschlag für einkommensschwache Familien gebündelt werden sollen.
Die Grundsicherung sollte aus einem festen Betrag, dem Kindergarantiebetrag, und einem flexiblen Zusatzbetrag, dem Kinderzusatzbetrag, bestehen, der vom Einkommen der Eltern abhängig ist. Ziel war es, den Antrag für Familien einfacher und digitaler zu gestalten, damit mehr Kinder profitieren können.
Ursprünglich wollte Paus zwölf Milliarden Euro für diese Umsetzung und plante eine neue Behörde mit etwa 5000 Stellen. Der Start war für Januar 2025 angesetzt.
Weder das Datum noch die Finanzierung noch die Stellen konnten jedoch durchgesetzt werden. Die Kindergrundsicherung, einst als bedeutendstes sozialpolitisches Vorhaben der Grünen angedacht, ist auf einige Schritte reduziert worden.
Paus will kein Scheitern erkennen
Familienministerin Paus will darin jedoch kein Scheitern erkennen: “Auch bei anderen Gesetzen wird dies oft in Stufen eingeführt”, erklärt sie. Bei der ersten Stufe sei man bereits weit fortgeschritten; Details zur zweiten Stufe sollen nach den Parlamentsferien im September erarbeitet werden.
Die Zeit drängt, wenn das Projekt 2025 wie geplant umgesetzt werden soll. Die Bundesagentur für Arbeit, deren neuer Familienservice die Kindergrundsicherung auszahlen soll, rechnet mit einem notwendigen Vorlauf von mindestens zwölf Monaten.
Die erste Stufe sieht unter anderem leichte Erhöhungen beim Kinderzuschlag und Kindergeld vor: nämlich fünf Euro. Ein Kindergrundsicherungscheck soll Familien helfen, ihren Anspruch auf staatliche Leistungen zu überprüfen.
Zusätzlich soll ein neues Online-Portal eingerichtet werden, das einkommensschwachen Familien den Zugang zu Zuschlägen für Musikschulen oder Sportvereine erleichtert. Dies könnte noch vor der nächsten Bundestagswahl umgesetzt werden.
Bentele: Kein Systemwechsel
Selbst im besten Fall bleibt Verena Bentele vom Sozialverband VDK skeptisch: “Ich sehe den Kindergrundsicherungscheck oder das Chancen-Portal nicht als große Durchbrüche. Der Staat sollte die Bürger ohnehin auf ihre Ansprüche aufmerksam machen.” Verbesserung der bestehenden Strukturen ist wichtig, jedoch kein Systemwechsel.
Bentele kritisiert, dass in Gesprächen sowohl ihre Organisation als auch die Koalitionspartner die Schuld für die Probleme im Projekt gegenseitig zuschieben.
FDP zeigt sich zufrieden
Für die FDP war die Kindergrundsicherung nie ein zentrales Anliegen. Ihr Fokus lag von Beginn an auf der Digitalisierung statt auf einer Ausweitung der Leistungen. Fraktionsvorsitzender Christian Dürr sieht das Projekt auf einem guten Weg: “Ich bin zufrieden, wenn die Kindergrundsicherung nicht den Sozialstaat vergrößert, sondern einfacher und digitaler gestaltet wird.”
Eine umfassende Sozialreform mit entsprechenden Behördenstrukturen wird unter diesen Umständen wohl nicht realisierbar sein.
Dennoch bleibt Familienministerin Paus optimistisch und lächelt den Bedenken in Leipzig entgegen – die Kindergrundsicherung wird kommen. Sie hofft auf den Endspurt der Ampelkoalition, so wie die Kinder im Kindergarten zusammen singen.