Analyse
Die Grünen verlieren bei der Europawahl im Juni signifikant an Stimmen. Auch die aktuellen Umfragen lassen wenig Anlass zur Hoffnung für die Partei. Welche Lehren will die Partei daraus ziehen?
Am Mittwochabend nahmen rund 1.500 Mitglieder an einer Videoschalte mit den Parteichefs teil, um aus dem schlechten Abschneiden bei der Europawahl Lehren zu ziehen.
Das Format ähnelte einem Vortrag, in dem Ricarda Lang und Omid Nouripour zentrale Punkte präsentierten. Die beiden nutzten ein Tablet und hielten eine 25-minütige Präsentation. Ihr Ziel war es, acht wichtige Schlussfolgerungen vorzustellen, um die Partei aus dem Umfragetief zu führen.
Viele der gesichteten Punkte bleiben jedoch vage: “Die Menschen haben berechtigte Sorgen und das Gefühl, dass wir an diesen vorbeireden”, ist einer der angesprochenen Punkte. “Pessimisten gewinnen keine Wahlen”, ist ein weiterer zentraler Gedanke.
“Wir erreichen nicht mehr die Herzen der Menschen”
Die Analyse zeigt, dass die Grünen bei der Europawahl in beide Richtungen verloren: Über 500.000 Wähler sind zur Union gewechselt. Gleichzeitig haben jüngere Wähler ihre Stimmen der Kleinstpartei Volt gegeben, die ähnliche grüne Themen propagiert. Viele enttäuschte Anhänger der Grünen haben gar nicht erst zur Wahl teilgenommen.
Welche Wählergruppe will die Partei nun zurückgewinnen? Die Debatte darüber brodelt in der Partei. Kurz vor dem Onlineforum äußerte sich das linke Lager lautstark und betonte, dass “weniger Inhalte und mehr Mainstream” nicht zu mehr Stimmen führen, so kritisierte ein Parteiführer die Strategie der Bundespartei.
Werben in zwei Richtungen
Parteiintern wird berichtet, dass Robert Habeck, der wahrscheinliche Spitzenkandidat, intensiv für eine Öffnung des Kurses und die Ansprache neuer Wählerschichten plädiert. Die Partei müsse sich nicht in eine linke Öko-Nische zurückziehen.
Die Parteichefs sind sich einig: Um zukünftige Wahlerfolge zu sichern, müssen sie in beide Richtungen werben. Denn nur so können sie die benötigten Stimmen für regierungsfähige Koalitionen gewinnen.
Experiment für die Bundestagswahl
Für das kommende Bundestagswahlprogramm kündigen die Parteiführer ein “Experiment der Bürgerbeteiligung” an. Wie und in welchen Formaten können alle, auch Nicht-Mitglieder, aktiv am grünen Wahlprogramm teilnehmen? Dieser Prozess ist derzeit in der Überprüfung.
Dieses Konzept wirft viele Fragen auf: wie viel Einfluss dürfen Nicht-Grüne wirklich haben und wie wird dies von den Parteimitgliedern aufgenommen? Der Zeitrahmen bis zum Parteitag im Frühjahr gibt der Partei die Möglichkeit zur Klärung.
Zuhören allein ist noch keine Politik
“Weniger Sollen und Müssen” könnte eine Leitlinie für die zukünftige Bürgeransprache sein, so die Eindrücke aus der Europawahl. Es erfordert mehr Rückmeldung und einen “Realitätscheck” von außen. An diesem Abend wird viel über das Zuhören gesprochen, doch ist Zuhören allein noch kein politischer Akt.
Bei diesem Onlineforum war direktes Zuhören der Parteibasis nicht möglich. Fragen mussten schriftlich eingereicht werden und wurden im Vorfeld von den Organisatoren gesammelt. Dies erschwerte ein klares Bild der Stimmung innerhalb der Kreisverbände.
Zwei Mitglieder fragten: “Wie gehen wir mit dem Gefühl um, dass beim Thema Migration ein Kontrollverlust besteht?” und gleichzeitig der eigenen Haltung treu zu bleiben? Dies offenbart den herausfordernden Spagat, vor dem die Grünen stehen.
Teilnehmer berichten auch von zunehmenden Gewalttaten im Wahlkampf und den Schwierigkeiten bei der Mobilisierung von Freiwilligen. Besorgnis herrscht darüber, dass die Grünen im Kontext des russischen Angriffs auf die Ukraine als “Kriegstreiber” dargestellt werden und dass dies das öffentliche Ansehen schädigen könnte.
Nicht auf “Grünen-Bashing” reagieren
Die Antworten der Parteivorsitzenden bleiben oft vage, was möglicherweise auf eine neue Strategie hinweist, um auf die Angriffe und Unterstellungen gegen die Grünen zu reagieren.
Der Leitsatz lautet: “Wir konzentrieren uns zuerst auf unsere eigenen Stärken, bevor wir uns mit dem negativen Wahlkampf unserer Gegner auseinandersetzen.” Eine Herausforderung für die kommenden Wahlkämpfe wird sein, nicht auf die Angriffe der Gegner zu reagieren.