Analyse
Wirtschaftsminister Habeck hebt die Fortschritte der Energiewende hervor, während die DIHK Warnungen vor einem Rückzug der Industrie aus Deutschland äußert. Wo stehen wir und welche Herausforderungen bleiben?
Wirtschaftsminister Robert Habeck verfolgt seit seinem Amtsantritt das Ziel, den Klimaschutz zu stärken und die Energiewende voranzutreiben. Nach über zweieinhalb Jahren im Amt betont Habeck: “Die Energiewende schreitet voran. Das ist entscheidend, um die Klimaziele in Deutschland zu erreichen.”
Tatsächlich sind Fortschritte beim Ausbau der Erneuerbaren Energien erkennbar. Besonders die Photovoltaikbranche erlebt einen Boom, da die Preise gesenkt und die Vorschriften, insbesondere für Balkonkraftwerke, vereinfacht wurden. Auch der Windkraftausbau nimmt wieder Fahrt auf, unterstützt durch beschleunigte Genehmigungsprozesse und die Ersetzung alter Windräder durch leistungsstärkere Modelle. Im ersten Quartal dieses Jahres wurde ein Rekordwert von 58 Prozent des in Deutschland produzierten Stroms aus erneuerbaren Quellen erreicht.
Dennoch ist der Stand der Energiewende nicht unproblematisch. Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der DIHK, äußerte kürzlich: “Hohe Energiepreise und Unsicherheiten bezüglich der zukünftigen Energieversorgung belasten die Unternehmen und stellen ein Hindernis für den Standort dar.”
Steht das Glas also halb voll oder halb leer? Die Herausforderungen und die zu erwartenden Kosten der Energiewende bleiben erheblich. Der angestrebte klimaneutrale Umbau der Wirtschaft und des Landes ist noch lange nicht abgeschlossen.
Der Netzausbau
Das Stromnetz benötigt eine grundlegende Umstrukturierung, weg von wenigen Großkraftwerken hin zu vielen dezentralen Wind- und Solaranlagen, die je nach Wetterlage variierende Mengen an Strom produzieren und oft weit von den großen Verbrauchszentren entfernt sind. Beispielsweise speisen Windparks im Norden Strom für die Industrie im Süden Deutschlands.
Laut Bundesnetzagentur müssen bis 2045 rund 530 Milliarden Euro in die Übertragungs- und Verteilnetze investiert werden. Die finanziellen Mittel zur Deckung dieser Kosten sind bislang ungeklärt. Allerdings gab es in letzter Zeit Fortschritte beim Bau der Übertragungsnetze nach vielen Verzögerungen.
Die Kraftwerksstrategie
Bis 2030 sollen erneuerbare Energien 80 Prozent des Stroms erzeugen. Dennoch bleibt eine Lücke, vor allem wenn Sonne und Wind nicht ausreichend Energie liefern. Um diese Lücke zu schließen, sollen wasserstofffähige Gaskraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 10 Gigawatt errichtet werden, was etwa 20 neuen Kraftwerksblöcken entspricht. Zwischen 2035 und 2040 sollen diese Kraftwerke dann vollständig auf klimafreundlichen Wasserstoff umgestellt werden, während die letzten Kohlekraftwerke bis spätestens 2038 vom Netz gehen sollen.
Im Februar einigten sich die Verantwortlichen auf die wesentlichen Punkte der Kraftwerksstrategie. Fragen zur Finanzierung sind jedoch weiterhin offen. Potenzielle Betreiber befürchten, dass sich die Investitionen als unrentabel erweisen könnten, da die Kraftwerke voraussichtlich nur sporadisch betrieben werden. Daher fordern die Betreiber eine Vergütung für die Bereithaltung der Kapazitäten.
Hinzu kommt, dass es bislang nur begrenzte Erfahrungen mit wasserstofffähigen Gaskraftwerken gibt, was Bedenken aufwirft. Der Bundesrechnungshof bezweifelt, dass die gesetzten Zeitpläne für den Bau der neuen Kraftwerke eingehalten werden können.
Die Wasserstoffwirtschaft
Zahlreiche Industriebranchen, darunter Stahl und Zement, sollen in den 2030er Jahren auf klimafreundlichen Wasserstoff umstellen. Dies erfordert den Aufbau einer neuen Infrastruktur mit Produktionsanlagen für grünen Wasserstoff in Deutschland. Zudem muss der Energieträger voraussichtlich weltweit in großen Mengen beschafft werden. Geplant ist der Bau eines umfassenden Wasserstoff-Kernnetzes von rund 10.000 Kilometern in Deutschland, während energieintensive Industrien milliardenschwere Investitionen tätigen müssen, um traditionelle Hochöfen durch Direktreduktionsanlagen zu ersetzen.
Das Hauptproblem besteht darin, dass es zwar bereits einige Pilotprojekte gibt, der Marktentwicklung jedoch kaum Fortschritte zu verzeichnen sind und die Technologie weiterhin sehr kostspielig ist. Zudem sind die so genannten “Wasserstoff-Partnerschaften” mit über 20 Ländern meist nur unverbindliche Absichtserklärungen.
Subventionen sollen helfen
Um den Wasserstoff-Status Quo voranzutreiben, gibt die Bundesregierung Milliardenhilfen heraus. In den letzten Wochen haben Verantwortliche Förderzusagen in Höhe von 4,6 Milliarden Euro an etwa 20 Unternehmen übergeben, die Leitungen, Wasserstoff-Produktionsanlagen oder Speichersysteme errichten wollen. “Jetzt wird gebaggert und gebuddelt”, erklärte der Wirtschaftsminister anlässlich dieser Initiative.
Wirtschaftsminister Habeck feiert Fortschritte auf den Baustellen der Energiewende und betont, dass an Konzepten gearbeitet wird. Dennoch bleiben viele Fragen offen, und einige Zeitpläne für den vollständigen Umbau der Energieversorgung wurden bereits nach hinten korrigiert. Daher wachsen die Zweifel in der Industrie. Am übergeordneten Ziel der Energiewende, Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen, hält Habeck jedoch fest.