Analyse
Nur 0,03 Prozentpunkte trennen das Bündnis Sahra Wagenknecht vom Einzug in den Bundestag. Der Frust ist groß, aber wer trägt die Verantwortung? Wagenknecht sieht sich nicht in der Pflicht.
Am Morgen nach der Wahl betritt Sahra Wagenknecht die Bundespressekonferenz in Berlin, während die Aufmerksamkeit größtenteils Alice Weidel, einer der Wahlgewinnerinnen, zuteilwird. Während Weidel Mühe hat, sich durch die Menge an Journalisten zu bewegen, wartet Wagenknecht unbemerkt wenige Meter entfernt auf den Zutritt zum Pressesaal.
Obwohl Wagenknecht ihre Niederlage später eingesteht, sieht sie die Gründe dafür nicht bei sich selbst. Ihr Resümee ist klar: Die Schuld liegt bei anderen. Konsequenzen für sich selbst schließt sie aus. Dabei hatte sie vor der Wahl betont, dass eine politische Relevanz ohne Bundestagsvertretung fraglich sei. Nach ihrer eigenen Argumentation ist sie und ihr Bündnis nun also irrelevant.
0,028 Prozentpunkte vom Bundestag entfernt
Während der Auszählung der Stimmen am Wahlabend gab es für das Bündnis tatsächlich Hoffnung. Um 18 Uhr lag die Prognose bei lediglich 4,7 Prozent, und der Applaus auf ihrer Wahlparty fiel verhalten aus. Mit fortschreitender Auszählung der Wahlkreise kam das BSW jedoch näher an die Fünf-Prozent-Hürde. Kurz vor Mitternacht schien ein Einzug ins Parlament möglich, doch letztlich fehlten nur 0,028 Prozentpunkte, was weniger als 14.000 Stimmen entspricht.
Ist damit Wagenknecht gescheitert? Ihre klare Antwort: Nein. Sie werde nicht zurücktreten, um den Medien einen Gefallen zu tun. Was zunächst wie ein “jetzt erst recht” klingt, entwickelt sich schnell zu einer Kritik an den Medien, Meinungsforschungsinstituten und den Beteiligungen ihrer Partei in Thüringen und Brandenburg.
Wagenknechts Zweifel an Umfragewerten
Wagenknecht sucht die Schuld für ihre Niederlage nicht erst am Montagmorgen, sondern bereits während des gesamten Wahlkampfes, wo sie mit ungünstigen Umfragewerten konfrontiert war. Die Werte fielen von neun Prozent im vergangenen Sommer auf unter fünf Prozent im Januar und Februar. Wagenknecht sieht dies jedoch nicht als Zeichen mangelnder Unterstützung, sondern ist überzeugt, dass Medien und andere Parteien versuchen, das BSW aus dem Bundestag zu drängen.
Anstatt von einer enttäuschten Stimmung am nächsten Morgen zu sprechen, stärken Wagenknecht und ihre Unterstützer die Erzählung der Fremdverantwortung. Fabio De Masi, BSW-Europaabgeordneter, kommentierte, viele Auslandsdeutsche hätten ihre Briefwahlunterlagen nicht rechtzeitig erhalten, was am Wahlergebnis schuld sei.
Gemeinsam mit Co-Vorsitzender Amira Mohamed Ali kündigt Wagenknecht juristische Schritte an bezüglich falscher Umfragewerte am Wahltag, die Sympathisanten möglicherweise von einer Wahl abgehalten haben.
Offene Fragen und zu hohe Erwartungen
Ein zentraler Punkt in Wagenknechts Analyse der Wahl bleibt die Frage nach ihrer eigenen Verantwortung. Die Partei trägt ihren Namen, und fast jedes Plakat zeigt ihr Gesicht. Waren ihre neun Wahlkampfauftritte wirklich ausreichend? Hat die Partei, durch ihren geforderten langsamen Wachstum, doch zu wenige Unterstützer gewonnen? Und war es strategisch klug, zusammen mit der Union und AfD für einen umstrittenen Antrag zur Migration zu stimmen?
Wagenknecht betont, dass das BSW eine junge Partei sei. Eine Bundestagswahl nur ein Jahr nach der Gründung stellt eine enorme Herausforderung dar. Auch die AfD benötigte Zeit, um ins Parlament einzuziehen. Obwohl das BSW mehr Stimmen als bei der Europawahl erhielt, konnten die hohen Erwartungen diesmal nicht erfüllt werden.