Die aktuelle Migrationsdebatte prägt den Wahlkampf in Deutschland nach einem Messerangriff in Aschaffenburg. Experten warnen vor der Pauschalisierung der Diskussion und mahnen zur differenzierten Betrachtung der Themen Migration und Sicherheit.
Gewaltakte in Städten wie Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg haben die öffentliche Diskussion über die deutsche Migrations- und Asylpolitik neu entfacht. Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl am 23. Februar wächst der Druck auf die Politiker, klare Maßnahmen wie striktere Grenzkontrollen und Begrenzungen der Migration zu formulieren.
Nach dem Messerangriff in Solingen im August, der kurz vor den Landtagswahlen stattfand, wurden bereits mehrere Gesetzesverschärfungen initiiert. Dazu gehören die Einführung von Grenzkontrollen und die geplante Streichung staatlicher Leistungen für Ausreisepflichtige sowie die Ausschlussmöglichkeiten für Straftäter vom Schutzstatus.
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz äußerte im Dezember, er beabsichtige keinen migrationspolitischen Wahlkampf. Dennoch hat sich das Thema Migration wieder in den Vordergrund gedrängt, in dem Merz jetzt eine Schlüsselrolle einnimmt.
Rechtsextremismusforscher: Souveräner Umgang fehlt
Was hat zu dieser raschen Veränderung in der politischen Diskussion geführt? Die Gewalttaten sind “Triggerereignisse für einen ungelösten gesellschaftlichen Konflikt im Umgang mit Migration”, erklärt ein prominent gefragter Rechtsextremismusforscher. “Schreckliche Gewalttaten im häuslichen Umfeld erhalten hingegen weniger öffentliche Aufmerksamkeit”, lautete die Kritik.
Dieser Diskurs ist aus demokratiepolitischen und menschenrechtlichen Gründen äußerst problematisch. Er zeigt, dass weder die Gesellschaft noch die Politik einen souveränen Umgang mit Migration oder Herausforderung wie Rechtsextremismus und Rassismus finden können.
Zahl der Asylanträge sinkt
Ein umstrittenes Thema in der aktuellen Debatte ist die Kontrolle der deutschen Grenzen. Seit Oktober 2023 gibt es stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz. Nach dem Vorfall in Solingen wurde dies im September 2024 auf die Grenzen zu weiteren Nachbarländern ausgeweitet. Diese Maßnahmen sind im Schengenraum eigentlich nicht vorgesehen und müssen der EU-Kommission gemeldet werden.
Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte in der vergangenen August, dass er die Grenzkontrollen “so lange wie möglich” aufrechterhalten wolle. Die Ampelkoalition honoriert diese Maßnahme nun als Erfolg zur Begrenzung der Zuwanderung.
Die Zahl der Asylanträge ist im Jahr 2024 um etwa 30 Prozent zurückgegangen, wie zuletzt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mitteilte.
Migrationsforscherin: Debatte “ignoriert die Fakten”
Trotz der Rückgangszahlen scheint in der politischen Diskussion der Eindruck zu herrschen, dass immer mehr Menschen nach Deutschland kommen. “Die Behauptung einer stetig steigenden Zuwanderung verkennt die Realität”, bemerkt eine führende Migrationsforscherin. Ihre Analyse zeigt, dass ein Großteil der Zuwanderung legal erfolgt, etwa durch Visa oder im Rahmen der Freizügigkeit innerhalb der EU.
Im Jahr 2023 wurden 127.549 Menschen ohne erforderliche Einreisegenehmigung erfasst. Laut der Forscherin dürfte diese Zahl jedoch höher sein, da ein Teil der irregulären Migration unentdeckt bleibt.
Die Mehrheit der Menschen ohne gültigen Aufenthalt war nicht illegal eingereist. Vielmehr handelte es sich zumeist um “Overstayer”, die nach Ablauf ihrer Visa nicht ausgereist sind.
Die Integrationsforschung zeigt, dass Migration, insbesondere in Krisenzeiten, durch die Entwicklung von Konflikten stark beeinflusst wird und nicht völlig steuerbar ist.
Rechtswissenschaftler: Keinen Generalverdacht aussprechen
In der aktuellen Debatte schwingt die Annahme mit, dass Zugewanderte häufig Straftaten begehen. Dies wird als problematisch angesehen, da der Vorwurf eines Generalverdachts ingenziellos ist. Es ist entscheidend, Maßnahmen auf individueller Gefährdung zu basieren und nicht auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe.
“Wenn Bedenken bestehen, dass eine bestimmte Person gefährlich ist, müssen entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Dennoch ist der Staat manchmal nicht in der Lage, alle Risiken zu kontrollieren”, sagt ein Experte für Rechtswissenschaften.
Zu wenige Ressourcen für Migranten
Die Situation wird durch begrenzte Ressourcen verstärkt. “Viele Migranten bringen erhebliche persönliche Belastungen mit, die oft unzureichend behandelt werden”, so ein Kriminologe. “Die prekäre Lebenssituation ohne soziale Anbindung verschärft das Problem.”
Manchmal ist dies politisch gewollt, um sogenannte Pull-Faktoren zu reduzieren. Dennoch sind viele Herausforderungen in der Verwaltung und der Unterstützung von Migranten auch eine Frage der vorhandenen Ressourcen.
Quent: Tabubruch steht vor der Tür
Die AfD hat das Thema Zuwanderung seit Jahren auf die Agenda gesetzt. Die demokratischen Parteien stehen in diesem Wettkampf um die Deutungshoheit vor der Herausforderung, dass sie oft in emotionalisierende die Argumentationsstrukturen der Rechten eintreten.
“Die demokratischen Parteien riskieren, in die Falle der Rechtsextremen zu tappen”, warnt ein Experte. Der “historische Tabubruch gemeinsamer Abstimmungen von Demokraten und Extremisten im Bundestag” könnte bevorstehen.