Interview
Die SPD, Grüne und FDP haben bei den jüngsten Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen erhebliche Niederlagen erlitten. Politikwissenschaftler Faas analysiert, welche Auswirkungen dies auf Kanzler Scholz und die Ampelkoalition hat.
ECNETNews: Die Ergebnisse in Sachsen und Thüringen waren zu erwarten. Was sagen sie über die Wählerschaft aus?
Faas: Tatsächlich gab es auf der Zielgeraden keine dramatischen Veränderungen. Wer die Perspektive erweitert, insbesondere mit Blick auf die Europawahl 2024 und die Bundestagswahl 2021, erkennt, dass in Ostdeutschland viel Bewegung möglich ist.
Bei der Bundestagswahl 2021 erzielte die SPD in Thüringen und Sachsen beachtliche Erfolge. Diese Stärke ist aktuell weit entfernt. Es fehlt an stabilisierenden Faktoren, welche Unzufriedenheit abfedern könnten. Unzufriedenheit manifestiert sich daher rasch und trägt zu den Erfolgen der AfD und des BSW bei, den klaren Gewinnern des Wahltages.
Zur Person
Thorsten Faas ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt “Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland” am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft in Berlin.
Komplexe Regierungsbündnisse in Sicht
ECNETNews: Was bedeuten diese Ergebnisse für die Regierungsbildung in Thüringen und Sachsen? Es könnten schlicht Bündnisse entstehen, die bisher als unvorstellbar galten.
Faas: Die abgewählte Koalition aus CDU und Grünen in Sachsen war einst als ungewöhnlich betrachtet worden. Nun überrascht es, dass ein neues Bündnis aus CDU, BSW und SPD angestrebt wird, das jedoch keine historische Grundlage hat und mit geringen Mitgliedszahlen des BSW konfrontiert ist. Es bleibt fraglich, wie die Ministerien besetzt werden sollen.
Wir müssen uns darauf einstellen, dass solche komplexen und schwierigen Bündnisse häufiger auftreten werden, und sie werden kaum reibungslos laufen. Dies ist nicht zwingend ein Versagen der Politik, sondern vielmehr ein herausfordernder Versuch, die Realität in Wählerwünschen abzubilden.
In Sachsen und besonders in Thüringen wird es sicherlich nicht einfach.
Politische Brandmauer bleibt bestehen
ECNETNews: Welche Rolle spielt die AfD in der aktuellen politischen Landschaft? Bleibt die Brandmauer gegenüber der AfD bestehen?
Faas: Es ist wichtig, zwischen den Parteibasen und den Parteiführungen zu unterscheiden. Gestern gab es keine Anzeichen für eine Zusammenarbeit mit der AfD, was sowohl überraschend als auch positiv ist.
In Sachsen könnte ein Bündnis aus CDU und AfD rechnerisch eine klare Mehrheit erzielen. Es gab Stimmen, die eine solche Option in Betracht zogen, jedoch hört man derzeit nichts in diese Richtung. Die Brandmauer bleibt also bestehen.
Anders sieht es in der Gesellschaft aus. Der hohe Stimmenanteil der AfD—manche Gruppen erreichen bis zu 50%—macht es unmöglich, diese breiten gesellschaftlichen Teile einfach auszuschließen.
Das erfordert jedoch auch Maßnahmen im Alltag, sei es am Arbeitsplatz oder im familiären Umfeld. Diese Situation erzeugt oft Frustration und Widerstand. Politisch steht die Brandmauer, doch gesellschaftlich müssen Lösungen gefunden werden, um damit umzugehen.
Ampelkoalition in der Krise
ECNETNews: Wackelt die Ampel-Regierung nach diesen Wahlergebnissen?
Faas: Aus den Reihen der Ampel-Fraktionen hören wir bereits Stimmen, die auf Veränderungen drängen, insbesondere von der SPD. Das Dilemma der Ampelparteien ist, dass sie bis zur Bundestagswahl ihr parteiliches Profil schärfen müssen, was zu mehr Konflikten führen könnte.
Gleichzeitig sind sie angehalten, Kompromisse zu finden und als funktionierendes Bündnis aufzutreten, was zunehmend herausfordernder wird.
Derzeit möchte jedoch keine der Parteien mit den Wahlergebnissen in den Bundestagswahlkampf ziehen. Deshalb wird die Koalition vorerst bestehen bleiben, auch wenn der Optimismus schwindet.
Olaf Scholz und die Herausforderungen
ECNETNews: Wie steht es um Olaf Scholz als Kanzlerkandidat in Anbetracht der Wahlen?
Faas: Bei der Bundestagswahl 2021 schnitt die SPD vor allem dank Olaf Scholz gut ab. Diese positive Wahrnehmung hat sich jedoch umgedreht.
Andere Parteien wie das BSW haben derzeit Personen, die als vertrauenswürdig gelten. Dies stellt eine große Herausforderung für den Kanzler dar: Schafft er es, sein positives Image zurückzugewinnen? Es bleibt abzuwarten.
Vertrauensverlust als wesentliche Herausforderung
ECNETNews: Welche Schritte sollten die Ampel-Parteien jetzt ergreifen?
Faas: Dies ist keine kurzfristige Herausforderung, da Vertrauen verloren wurde. Trotz der Schwierigkeiten haben die Ampel-Parteien oft Wege gefunden, wieder zueinander zu finden.
Erst kürzlich wurde ein sogenanntes Sicherheitspaket beschlossen, welches aufgrund der Programmatik und Geschichte der Parteien problematisch ist. Obwohl es erfolgreich war, wird es nicht als solche wahrgenommen, da das Vertrauen in die Koalition fehlt.
Eine kurzfristige Verbesserung ist nicht zu erwarten. Die Wählerinnen und Wähler müssen in einer klaren Wahlkampfsituation überlegen, was sie wollen. Die Hoffnung der Kanzlerpartei liegt darin, möglicherweise durch personelle Neuausrichtung neues Momentum zu schaffen.
Wählerverhalten alles andere als stabil
ECNETNews: Wie könnte die Ampel-Regierung wieder Vertrauen aufbauen, wenn sie aktuell abgestraft wird?
Faas: Es ist ohne Zweifel herausfordernd, Vertrauen ist schnell verloren, aber schwer wiederherzustellen. Betrachtet man die langfristige Perspektive, so zeigt sich, dass Wählerverhalten sehr dynamisch ist und schnelle Umschwünge auftreten können.
Der Aufstieg der SPD zur führenden Kraft geschah innerhalb kürzester Zeit, durch einen Wahlkampf, der Respekt und Scholz als Kandidaten hervorhob. Eine ähnliche Erzählung muss erneut gelingen.
Allerdings gestaltet sich dies in einem politischen Umfeld, in dem sowohl die CDU als auch neue Oppositionskräften wie BSW und AfD die Regierung zunehmend kritisieren. Der Ausblick für die Ampelkoalition ist herausfordernd, besonders nach den jüngsten Wahlergebnissen.