Die Minderheitsregierung in Thüringen hat unerwartet ihre gesamte Legislaturperiode durchgehalten. Trotz diverser Differenzen lässt sich ihre Bilanz sehen, jedoch denken nur wenige, dass dieses Modell zukunftsfähig ist.
In Thüringen wird eine bemerkenswerte politische Situation deutlich: Eine Minderheitsregierung, die die gesamte Wahlperiode überdauert hat. Doch die Beteiligten ziehen aus dieser Erfahrung keine positiven Schlüsse und warnen eindringlich: “Kann ich nicht empfehlen”, so der Regierungschef. Forderungen nach einem Umdenken kommen sowohl aus der CDU als auch von der SPD, die die rot-rot-grüne Koalition als gescheitert ansehen.
Politik als Kunst des Möglichen
Die Bilanz dieser bundesweiten Premiere ist jedoch nicht ganz negativ. Wenn Politik als Kunst des Möglichen betrachtet wird, haben die Protagonisten der rot-rot-grünen Minderheitsregierung sowie der CDU durchaus Erfolge erzielt. Der Landtag verabschiedete regelmäßig mit Mehrheit den Haushalt und brachte zahlreiche Gesetze auf den Weg.
Die CDU hatte keine Hindernisse bei entscheidenden Entscheidungen geschaffen, so dass sie als Opposition eigene Anliegen voranbringen konnte. “Auf der Sachebene haben wir über Parteigrenzen hinweg gut zusammengearbeitet”, sagt eine an der Regierung beteiligte Finanzministerin.
Warum besteht daher dieser allgemeine Überdruss? Liegt es daran, dass die ursprünglich als Übergangsmodell geplante Minderheitsregierung unter dem Druck äußerer Krisen ihre ursprünglich festgelegte zeitliche Begrenzung überschritt?
“Die Strukturen mussten funktionieren”
“Drei Wochen später waren wir schon im ersten Lockdown”, erinnert sich ein CDU-Abgeordneter. Klassische Opposition hätte Stillstand bedeutet, aber die Strukturen mussten zwischen Land und Kommunen weiterhin функциониerten.
Ein sogenannter Stabilitätsmechanismus sah vor, dass ein Zusammenspiel zwischen der linksgeführten Regierung und der CDU-Opposition entstand, um gemeinsam an einem stabilen Haushalt zu arbeiten. Zudem ermöglichte die CDU die Wiederwahl des Linken Bodo Ramelow als Ministerpräsidenten.
Und dann: Corona
Dann trat die Corona-Pandemie mit voller Wucht ein und verschob den ursprünglich geplanten Wahltag. Im September 2021, am Tag der Bundestagswahl, sollten die Thüringer Wähler an die Urnen gerufen werden.
Ein Übergang, der nicht enden will
Das ursprünglich als Interim gedachte Konstrukt aus Minderheitsregierung und konstruktiver Opposition entwickelte sich zu einem Dauerzustand, wobei die Auseinandersetzungen schärfer wurden. Das Treffen zur Verlängerung des Stabilitätspakts wurde zunehmend konfliktbeladener.
Die Vereinbarung, die eine Zusammenarbeit mit der extremistischen AfD ausschloss, wurde nicht mehr aufrechterhalten. Ein langjähriger Fraktionschef beobachtete, wie das Verhältnis zwischen den demokratischen Parteien zunehmend belasteter wurde.
Die CDU hat es auch nicht leicht
CDU-Chef Voigt sah sich immer wieder in einem Spannungsfeld. Anfängliche Erleichterung über die Verhinderung von Neuwahlen wich dem Unmut, weiterhin an die ungeliebte politische Koalitionsarbeit gebunden zu sein.
Zudem sahen sich die CDU-Abgeordneten dem Druck der AfD ausgesetzt, die sie als “nützliche Idioten” und weitere Parteien im Landtag als “Nationale Front” titulierte, was zu internen Konflikten führte.
Die CDU musste aufgrund dieser Spannungen Kompromisse eingehen, die als unhaltbar empfunden wurden. In der Folge gab es Schwierigkeiten bei geheimen Abstimmungen und die CDU ließ zu, dass sich die AfD Einfluss auf die Gesetzgebung verschaffte.
“Eine konstruktive Opposition bleibt auch Mist”
“Ich wollte keinen Tag mit Mario tauschen”, äußert eine Abgeordnete der Grünen, die Verständnis für die schwierige Lage des CDU-Fraktionschefs hat. Doch das persönliche Verhältnis hat in der letzten Phase der Minderheitsregierung gelitten.
Ein CDU-Abgeordneter hält dagegen, dass einige Beschlüsse, die auf CDU-Wunsch gefasst wurden, im Gesetzesvollzug ausgebremst wurden. Die konstruktive Opposition war notwendig, jedoch fühlten sich viele wie in einer verloren geglaubten Beziehung.
Den Abschluss der Situation bezeichnete ein CDU-Politiker mit den Worten eines bekannten Sozialdemokraten: “Opposition ist Mist. Und eine konstruktive Opposition bleibt auch Mist.”