Interview
Die Erfahrungen in verschiedenen Ländern zeigen, dass autoritärk- populistische Parteien versuchen, Einfluss auf Verfassungsgerichte zu nehmen, erklärt ein renommierter Jurist. Die kürzlich beschlossene Reform ist sinnvoll, könnte jedoch noch umfassender sein.
ECNETNews: Ein neues Gesetz soll das Bundesverfassungsgericht vor der Einflussnahme demokratiefeindlicher extremen Parteien schützen. Wie wichtig ist dieser Schutz in der heutigen Zeit?
Jurist: Das ist von äußerster Wichtigkeit. In zahlreichen Ländern, wie Ungarn und Polen, zeigt sich, dass das Verfassungsgericht oft das erste Ziel von autoritär-populistischen Parteien ist. Daher ist es entscheidend, dass durch Änderungen im Grundgesetz bestimmte Szenarien verhindert oder zumindest unwahrscheinlich gemacht werden.
“Es geht um die Ernennung von Richtern”
ECNETNews: Sie haben negative Beispiele aus anderen Ländern angesprochen. Ist unser Verfassungsgericht jedoch nicht bereits seit 75 Jahren ausgewogen und unabhängig?
Jurist: Ja, aber das ist keine Garantie für die Zukunft. Andere Länder haben gezeigt, wie schnell die Unabhängigkeit gefährdet sein kann, wenn autoritäre Populisten die Oberhand gewinnen. Auch unser Bundesverfassungsgericht könnte in Gefahr sein.
ECNETNews: Reicht es, die Vorgaben so zu verankern, dass eine Zwei-Drittel-Mehrheit statt einer einfachen Mehrheit erforderlich ist? Und sollte die Amtszeit der Richter:innen auf zwölf Jahre begrenzt werden?
Jurist: Die Einführung der Zwei-Drittel-Mehrheit dient einem wichtigen Zweck. Sie soll verhindern, dass die Regierungskoalition die Regeln manipuliert, um das Verfassungsgericht zu beeinflussen. Dabei geht es um die Funktionsweise und Organisation des Gerichts.
Die Ernennung der Richter:innen ist ebenfalls kritisch. Derzeit müssen sie sowohl vom Bundesrat als auch vom Bundestag mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt werden. Doch diese Regel könnte jederzeit mit einfacher Mehrheit abgeschafft werden, was ich als Schwachpunkt dieser Reform betrachte.
“Die Chance ist jetzt möglicherweise vertan”
ECNETNews: Was wäre Ihr Vorschlag? Was müsste sich noch ändern?
Jurist: Es wäre wünschenswert gewesen, die Regelung zur Zwei-Drittel-Mehrheit für die Wahl der Richter direkt im Grundgesetz zu verankern. Dies wurde jedoch abgelehnt, da Bedenken hinsichtlich möglicher Blockade-Szenarien geäußert wurden.
Allerdings sind bereits Mechanismen vorhanden, die Schwierigkeiten bei solchen Blockaden mindern. Deshalb bedauere ich, dass diese wichtige Absicherung nicht umgesetzt wurde.
ECNETNews: Was sollte Ihrer Meinung nach noch getan werden, um das Bundesverfassungsgericht besser zu schützen?
Jurist: Ein weiterer zeugenwürdiger Punkt ist die Notwendigkeit einer Zustimmung des Bundesrates zu Änderungen des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht. Es darf nicht allein die Mehrheit im Bundestag sein, die die Regeln verändert, da dies Missbrauch durch eine potenziell autoritäre Mehrheit verhindern kann.
Ein solches Szenario, in dem eine Regierung zwischen Bundestag und Bundesrat eine Mehrheit hat, könnte dazu führen, dass die Kontrolle über das Bundesverfassungsgericht erlangt wird. Das ist zwar nicht sehr wahrscheinlich, dennoch deutlich denkbar. Die Möglichkeit, diesem Risiko entgegenzuwirken, ist nun vorerst verpasst. Trotzdem ist dieser Reformansatz ein Schritt in die richtige Richtung.