Die Zukunft der Gedenkstättenarbeit steht seit Monaten im Fokus intensiver Debatten. Die geplante Reform von Kulturstaatsministerin Roth stößt auf heftige Kritik, die über die Inhalte des Gedenkens hinausgeht.
Das Internet vergisst nicht – eine Lektion, die Kulturstaatsministerin Claudia Roth in den letzten Monaten immer wieder schmerzlich erfahren musste. Ein Dokument, das im Februar veröffentlicht wurde, führt bis heute zu Kritik von Seiten Dutzender Gedenkstätten und Historiker. Das Misstrauen ist weiterhin spürbar.
In einem „Rahmenkonzept Erinnerung“ skizzierte Roth zu Beginn des Jahres ihre Vision für die Zukunft der Erinnerungskultur in Deutschland. Dies alarmierte zahlreiche Experten: Was genau plant Roth für die Gedenkstätten? Die offenen finanziellen Fragen sind ebenso besorgniserregend wie die inhaltlichen Überlegungen. Ein neues Konzept steht bislang noch aus.
Neue Themen und Orte
Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stehen die Schwerpunkte des geplanten Konzepts. Zwei Hauptthemen dominieren derzeit: die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur und dem SED-Unrecht. Roth regt in ihrem Dokument an, „neue Themen und Orte der Erinnerung zu definieren“. Diese neuen Themen umfassen den Kolonialismus, die Geschichte der deutschen Demokratie sowie die Einwanderungsgesellschaft. Auch die NSU-Morde sollen stärker in den Fokus rücken.
Alle Dachverbände der Gedenkstätten werfen Roth vor, einen „geschichtspolitischen Paradigmenwechsel“ herbeizuführen und betonen, dass NS-Terror und SED-Diktatur „staatlich verübte Massenverbrechen“ sind. Sie warnen, dass die neuen Themen die klaren Verantwortungsbereiche verwässern könnten. Rechtsextreme Morde dürften nicht mit Staatsverbrechen gleichgesetzt werden.
„Naiv“, „kontraproduktiv“ und „wirr“
Gespräche mit Gedenkstättenleitern offenbaren, dass das Konzept als „naiv“, „kontraproduktiv“ und „wirr“ angesehen wird. Das Kulturstaatsministerium suchte lange kaum den Austausch und wollte wenig über das neue Konzept preisgeben. Im Februar wurde das Papier dann überraschend veröffentlicht.
Roth hat das Konzept inzwischen zurückgezogen und betont, dass es sich lediglich um einen „Denkanstoß“ handelte. Dennoch bleiben die Bedenken. Historiker und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Gedenkstätten zur Diktatur in SBZ und DDR, Jörg Ganzenmüller, sagt: „Wir hätten uns von Beginn an gewünscht, dass man mit uns spricht“. Aktuell sei vereinbart, dass die Gedenkstätten sich auf die nationalsozialistischen Verbrechen und das SED-Unrecht konzentrieren.
Roths Rückzieher
Im Juni fand ein Runder Tisch im Kulturstaatsministerium statt, der als Friedensgespräch interpretiert werden kann. Weitere Gespräche folgen, und es scheint, als würde Roth zurückrudern, auch wenn sie dies nicht explizit formuliert. Die fünf Themensäulen sollen nun getrennt behandelt werden.
„Im neuen Konzept soll es um die Weiterentwicklung der bestehenden Gedenkstätten gehen“, erklärt Jens Althoff, Sprecher der Staatsministerin. Das bedeutet, dass die bisherigen Schwerpunkte auf Nationalsozialismus und DDR bestehen bleiben sollen. „Parallel wird es einen Prozess geben, der die anderen Themen beleuchtet“, so Althoff weiter.
Sorge um die Finanzierung
Die Gedenkstätten äußern Besorgnis über die Finanzierung, die ein zentraler Punkt des Kulturstaatsministeriums ist. Ein Gedenkstättenkonzept definiert die Förderrichtlinien: Wer erhält Gelder und für was? Es besteht die Befürchtung, dass neue Erinnerungsorte entstehen werden, während die Mittel für bestehende Strukturen nicht erhöht werden.
„Wenn mehr Aufgaben hinzukommen und wir die Digitalisierung vorantreiben, müssen zusätzliche Mittel bereitgestellt werden“, warnt Ganzenmüller. Roth habe versichert, dass es zusätzliche Ressourcen für Maßnahmen wie Podcasts oder Online-Formate geben werde.
Der aktuelle Haushaltsentwurf zeigt keine Kürzungen für Roths Etat, was Hoffnung gibt. „Neue Themenfelder wären auch mit zusätzlichen Mitteln verbunden“, verspricht Althoff mit Blick auf die Zukunft. Ob dies zutrifft, bleibt jedoch angesichts der ungewissen Haushaltslage unklar.
Gedenkstätten unter Druck
Die Gedenkstätten stehen aufgrund gestiegener Energie- und Personalkosten unter Druck. Sicherheitsmaßnahmen erfordern ebenfalls finanzielle Mittel. Eine Umfrage unter KZ-Gedenkstätten zeigt besorgniserregende Zunahmen von Vandalismus und rechtsextremen Angriffen.
Ein weiterer besorgniserregender Aspekt ist die politische Landschaft in den ostdeutschen Bundesländern, wo die Gedenkstätten oft von Landesgeldern abhängig sind. Es bleibt abzuwarten, wie zukünftige Regierungen mit der Finanzierung von Gedenkstätten umgehen werden.
Möglicher Einfluss von AfD oder BSW
Der AfD-Politiker Götz Frömming hat im Kulturausschuss festgestellt: „Wir sind für eine Erweiterung der Erinnerungskultur, insbesondere auf die positiven Aspekte unserer Geschichte“. Das wirft Fragen auf, ob der Fokus auf ehemaligen Konzentrationslagern weiterhin Priorität hat.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bleibt unter Gedenkstättenleitern ein unsicheres Terrain. Historiker Ganzenmüller äußert Bedenken: Einerseits lobt Wagenknecht noch lange nach der Wende die DDR, andererseits wurden solche Befürchtungen in Thüringen, wo die Linkspartei regierte, nicht bestätigt.
Besucherzahlen angestiegen
Claudia Roth plant, ihr neues Konzept im Herbst im Bundestag vorzustellen. „Wir hoffen auf einen Konsens unter den demokratischen Parteien“, sagt Ganzenmüller. Ein einheitliches Signal könnte die wichtige Arbeit der Gedenkstätten stärken. „Sie sollten kein Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzungen sein“, betont er.
Eines steht fest: Die Erinnerungsorte können sich über ansteigende Besucherzahlen freuen. Nach dem Rückgang während der Corona-Pandemie haben sich die Zahlen besonders in den großen Gedenkstätten erholt. Dennoch müssen Besuchergruppen in einigen Einrichtungen absagen, da es an Personal für Führungen fehlt – letztlich eine Budgetfrage.