Insbesondere im ländlichen Brandenburg haben die Grünen Schwierigkeiten, Stimmen zu gewinnen. In der Stadt Potsdam jedoch sieht die Lage anders aus, da sie trotz eines allgemeinen Abwärtstrends die meisten Stimmen bei der Europawahl erzielen konnten. Was erklärt diesen Unterschied?
Schon früh am Morgen strömen die Potsdamer zum Markt am Nauener Tor. Dieser beliebte Treffpunkt in der Nähe des Holländischen Viertels zieht junge Familien und alteingesessene Bürger gleichermaßen an.
Marie Schäffer, Landtagsabgeordnete der Grünen in Brandenburg, ist sich dessen bewusst und hat ihren Wahlkampfstand auf dem Markt aufgebaut. Ihr Wahlkreis ist Potsdam 21.
„Wir wählen Sie sowieso“
Schäffer verfolgt eine einfache Strategie: Sie spricht fast jeden Passanten an. „Darf ich Ihnen Informationen zur Landtagswahl von den Grünen geben?“, ist ihr typischer Einstieg. Wer nicht stehen bleibt, erhält als Wahlgeschenk Blumensamen. Ein klassischer Wahlkampfansatz.
Die Reaktionen der Potsdamer sind überwiegend positiv. Ein älteres Ehepaar lehnt zwar die Broschüre ab, betont aber gleichzeitig: „Wir wählen Sie sowieso.“ Auch ein junger Familienvater nimmt einen Flyer mit, trotz dessen, dass er bereits sicher ist, dass dieser zu Hause liegt. Schäffer kann mit ihrem Auftritt zufrieden sein.
Natürlich sind nicht alle Potsdamer gesprächsbereit, aber die Atmosphäre bleibt freundlich und respektvoll.
„Wer sind Sie denn?“
Im ländlichen Fürstenwalde sieht die Situation für den Grünen-Spitzenkandidaten Benjamin Raschke anders aus. Dort begegnen ihm beim Haustürwahlkampf oft ablehnende Reaktionen. „Wer sind Sie denn? Die Grünen? Die sind für mich gestorben,“ lautet eine jener Antworten, die Raschke erhält.
Bei der letzten Wahl gewann die AfD diesen Wahlkreis, was die Herausforderungen für die Grünen in ländlichen Gebieten verdeutlicht.
Raschke macht die Ampel-Regierung für die Probleme verantwortlich: „Die Art, wie die Debatte um das Heizungsgesetz geführt wurde, hat unsere langfristige Arbeit im ländlichen Raum stark beeinträchtigt. Wir müssen erst die Vorurteile überwinden, was oft sehr schwierig ist.“
Europawahl als Stimmungstest
Die Unterschiede zwischen Potsdam und dem restlichen Brandenburg sind nicht nur spürbar, sondern auch nachweisbar. Bei der Europawahl erzielten die Grünen in Brandenburg lediglich enttäuschende 6,0 Prozent, während in Potsdam die Partei mit 15,5 Prozent die meisten Stimmen erhielt, gefolgt von SPD und CDU. Die Wahlbeteiligung war mit 72,5 Prozent hoch.
Weniger Sorgen, mehr grüne Stimmen?
Was erklärt diese Differenz? Jan Philipp Thomeczek, Politikwissenschaftler an der Universität Potsdam, führt an, dass Potsdam die wohlhabendste Stadt in Ostdeutschland ist, was sich positiv auf die Wählergunst der Grünen auswirkt.
Thomeczek verweist auf die Gründungsgeschichte grüner Parteien in Europa, die oft aus einer “Postmaterialismus-Welle” heraus entstanden sind, als Menschen ohne materielle Sorgen sich um Frieden und Umweltschutz kümmern konnten.
In Ostdeutschland gilt: Wo es den Menschen wirtschaftlich gut geht, wählen sie die Grünen; wo größere materielle Sorgen bestehen, geschieht dies nicht. Thomeczek prognostiziert, dass Potsdam bei der bevorstehenden Landtagswahl eine Hochburg der Grünen bleiben könnte, während die Partei in vielen ländlichen Regionen an Einfluss verliert.