Jens Spahn zeigt sich nach seiner Wahl zum Fraktionsvorsitzenden der Union als besonnener Brückenbauer. Doch für den ambitionierten CDU-Politiker könnte dies nur eine Zwischenstation sein.
Demut, Vertrauen, Verantwortung – so umreißt Jens Spahn bei seiner Wahl zum Fraktionschef seine zukünftige Arbeit. Er steht ergriffen am Fraktionsstandort im Bundestag, neben Friedrich Merz und Markus Söder, und betont, dass in der neuen Koalition nicht auf kurzfristige Einzelgewinne geachtet wird, sondern auf “Teamarbeit” und “gemeinsame Erfolge.”
Markus Söder übergibt ihm ein kritisches Lob: “Jens ist ein echter Allrounder.” Er ergänzt mit einer kurzen Pause: “Und ja, er kann auch loyal.” Ein Schmunzeln geht durch die versammelten Journalisten und Fraktionsmitarbeiter.
Kanzler im Wartestand?
Jens Spahn bringt ein Image mit, das ihn seit Beginn seiner Karriere begleitet: Er gilt als ehrgeizig und zielstrebig. Berichte über ihn tragen Titel wie “Der Aufsteiger” oder “Kanzler im Wartestand.” Bereits in seiner Schulzeit schrieb er in seine Abizeitung: “Bundeskanzler, was sonst?”
Die Frage, ob Spahn tatsächlich dem Kanzler Merz treu bleibt oder seine eigene Agenda verfolgt, zählt zu den spannendsten Aspekten dieser Legislaturperiode. Als Fraktionschef hat er nun eine Machtbasis wie nie zuvor und kann die Karrierewege von etwa 200 Unionsabgeordneten mitprägen.
Altlasten aus der Corona-Zeit
Spahn kennt die parlamentarische Arbeit genau: Der 44-Jährige ist fast 23 Jahre im Bundestag und fällt durch seinen Wahlkampf, Talkshowauftritte und seine klare Haltung auf. Angela Merkel berief ihn 2017 zum Gesundheitsminister. Zu Beginn der Corona-Pandemie erhielt er viel Lob, auch von den damals oppositionellen Grünen. Er galt als “offen für Gespräche” und setzte auf Expertenrat.
Doch die Kritik an den strengen Maßnahmen wuchs schnell. Insbesondere die Maskenbeschaffung bleibt ein ungelöstes Problem. Sein Ministerium hatte im Jahr 2020 weltweit hohe Preise für Masken zugesichert, was zu zahlreichen gerichtlichen Auseinandersetzungen führt.
Dutzende Gerichtsverfahren laufen, die möglicherweise mehrere Milliarden kosten könnten. Es gibt Hinweise, dass Geschäfte über Verbindungen in der Union vermittelt wurden. Eine klare Aufklärung dieser und anderer Missstände aus der Corona-Zeit wird nicht zu den Prioritäten der neuen Koalition gehören.
Spahn muss seine Loyalität erst beweisen. Merz hat ihn dennoch zum neuen Fraktionschef gemacht, da er in den Koalitionsverhandlungen überzeugte. Seine politische Erfahrung wird in Merz’ Umfeld als wertvoll angesehen.
Netzwerker, Trump-Versteher, Machtfaktor
Spahn hat sich in den letzten Jahren ein starkes Netzwerk im rechten Lager der Union aufgebaut. Bei seiner Reise zum republikanischen Parteitag 2024 betonte er die gemeinsamen Interessen mit Trump. Sein Verhältnis zum ehemaligen US-Botschafter Richard Grenell ist besonders eng, was Spahns Einfluss in der Union erhöht.
Zuletzt fiel Spahn mit seinen Äußerungen zur AfD auf. Er forderte einen respektvollen Umgang mit der Oppositionspartei, was politische Empörung auslöste. Aktuell betont er die Notwendigkeit einer enge Abstimmung zwischen Union und SPD bezüglich der AfD.
Schafft Spahn den Rollenwechsel?
Spahns wichtigstes Werkzeug als Fraktionschef wird nun sein Verhandlungsgeschick. Er muss die unterschiedlichen Interessen innerhalb der Fraktion ausbalancieren und gleichzeitig einen engen Kontakt zum SPD-Fraktionschef aufbauen, da die neue Koalition nur eine knappe Mehrheit hat.
Die Herausforderung wird wachsen, wenn er auch die Grünen und Linken ins Boot holen muss, insbesondere zur geplanten Modernisierung der Schuldenbremse. Kritische Stimmen aus grünen Kreisen bemängeln bereits seine Fähigkeit, als Verhandler zu überzeugen.
Dieser Rollenwechsel könnte entscheidend für Spahns politische Zukunft sein, insbesondere in Hinblick auf die Nachfolge von Friedrich Merz. Auch andere Ministerpresidentschaften könnten Druck auf ihn ausüben, während er seinen Einfluss in der Union weiter ausbauen muss.