Interview
Experte für Migrationsrecht kritisiert das neue “Sicherheitspaket”. Teile dieses Pakets widersprechen der Menschenwürde und den Anforderungen eines Sozialstaats. Es fehlt an einer umfassenden Diskussion über effektive Maßnahmen gegen Islamismus.
Interviewer: Ist das Maßnahmenpaket der Koalition zu Asyl und Migration gut durchdacht?
Maximilian Pichl: Nein, das Paket hat in mehreren Bereichen verfassungsrechtliche Mängel, insbesondere bei den Kürzungen für sogenannte Dublin-Flüchtlinge. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu bereits klare Aussagen getroffen. Bestimmungen, die zur Abschreckung dienen, sind nicht mit der Menschenwürde und dem Sozialstaatsgebot vereinbar. Wir werden wahrscheinlich Gesetze sehen, die vor dem Bundesverfassungsgericht überprüft werden müssen.
In dieser Debatte wird oft mit großen Versprechen geworben – etwa der großflächigen Abschiebung, wie es der Bundeskanzler betont hat. Solche Äußerungen wecken Erwartungen in der Bevölkerung, die in einem liberalen Rechtsstaat nicht erfüllt werden können. Das ist gefährlich, da es extremistischen Parteien ermöglicht, dieses Argument auszuschlachten und die Regierung unter Druck zu setzen.
Zur Person
Maximilian Pichl ist Professor für Soziales Recht an der Hochschule RheinMain. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Asyl- und Migrationsrecht sowie in der kritischen Rechtstheorie. Zuvor war er rechtspolitischer Referent einer Menschenrechtsorganisation.
Warnung vor unbeabsichtigten Effekten
Interviewer: Können die geplanten Maßnahmen also gegen das Asylrecht verstoßen?
Pichl: Diese Leistungskürzungen verstoßen gegen die Menschenwürde und das Sozialstaatsgebot. Es wird mit Sicherheit Klagen geben, und bereits jetzt gibt es gegen die neu eingeführte Bezahlkarte erste gerichtliche Eilentscheidungen. Im Einzelfall muss immer abgewogen werden.
Die Maßnahme könnte unbeabsichtigte Folgen haben, wie die Kürzung des Existenzminimums über einen Zeitraum von sechs Monaten. Solche Maßnahmen sind Risikofaktoren für Kriminalität und könnten Menschen dazu bewegen, sich den Behörden zu entziehen. Insofern könnte dieses Sicherheitspaket mehr Unsicherheit schaffen.
“Sehr uneinheitliche Standards in der EU”
Interviewer: Wie sehen Sie die nationalen Maßnahmen im Vergleich zu den Standards der EU?
Pichl: In der Europäischen Union gibt es nach wie vor sehr unterschiedliche Standards, was auch die Überstellung von Flüchtlingen betrifft. Es gibt gute Gründe, warum bestimmte Staaten wie Bulgarien oft nicht als Rückführungsziele in Betracht gezogen werden, da Flüchtlinge dort Schwierigkeiten haben, integriert zu werden und häufig obdachlos sind. Menschenrechtsverstöße sind auch in Ländern wie Griechenland und Italien dokumentiert. Es muss darauf hingewirkt werden, dass Menschen in Europa human behandelt werden.
Interviewer: Welche Maßnahmen fehlen Ihrer Meinung nach in Deutschland, um Migration besser zu steuern?
Pichl: Nach dem Solinger Attentat sollten wir eine umfassendere Debatte führen, wie wir wirksam gegen Islamismus vorgehen können. Es fehlen Präventionsansätze, die im aktuellen Sicherheitspaket nur angedeutet werden.
Das Demokratiefördergesetz wartet noch auf die Beschlussfassung durch den Deutschen Bundestag und wird von der Koalition blockiert, obwohl es Möglichkeiten zur Förderung von Deradikalisierungsprojekten bieten würde.
Es ist wichtig, dass in diesem Bereich mehr getan wird. Die derzeitige Debatte über Abschiebungen ist Ausdruck einer nationalistischen Politik, die häufig irrational erscheint.
“Sehr starke Verschiebung des Sagbaren”
Interviewer: Warum werden Terrorismus und Asyl häufig miteinander verknüpft, obwohl das kein Automatismus ist?
Pichl: Kürzlich war der Verdächtige eines geplanten Anschlags in Wien österreichischer Staatsbürger und hatte nordmazedonische Wurzeln – er war kein Flüchtling.
Es ist falsch, Migration und Terrorismus automatisch in einen Zusammenhang zu setzen. Zudem gibt es viel sogenannten “homegrown” Terrorismus, bei dem Menschen, die hier aufgewachsen sind, radikalisiert werden.
In den letzten Jahren hat sich die öffentliche Wahrnehmung stark verschoben, und die Rhetorik, dass Migration die Quelle aller Probleme sei, hat sich gefestigt. Ein einseitiger Fokus auf Migration verdeckt jedoch die Ursachen dieser Probleme.
“Außenpolitisch fatales Signal”
Interviewer: Hat sich die Dynamik der Maßnahmen nach dem Solinger Attentat geändert?
Pichl: Heute fand der erste Abschiebeflug von verurteilten Straftätern nach Afghanistan statt, das ist ein bedeutender Schritt.
Auch Straftäter haben Rechte und verdienen Schutz der Menschenwürde. Innenministerin Faeser hat unrecht, wenn sie sagt, dass Sicherheit über alles geht. Die Menschenwürde hat Vorrang. Wir besitzen rechtliche Mittel, um mit solchen Situationen umzugehen.
Dies führt zu einer Normalisierung des Taliban-Regimes und sendet ein extern politisch gefährliches Signal.