Reportage
Die Wahlkämpfe in Thüringen und Sachsen verdeutlichen die wachsende Polarisierung rund um die AfD. Die Partei mobilisiert sowohl Unterstützer als auch Gegner, die zwischen Frust und Hoffnung schwanken.
Eine junge Frau nähert sich einem kräftigen Mann, der in Richtung Marktplatz geht. Sie fragt ihn, ob sie ihm ein Informationsheft über Rechtsextremismus überreichen dürfe.
“Ich bin ein Nazi”, sagt der Mann im Vorbeigehen.
“Wie bitte?”
“Ich bin ein Nazi.”
“Okay, das ist inakzeptabel.”
In Sömmerda, nördlich von Erfurt, veranstaltet die AfD an diesem Samstagnachmittag ein “Sommerfest”. Nur noch acht Tage bis zur Landtagswahl. Die AfD könnte in Thüringen, wie auch in Sachsen und Brandenburg, zur stärksten Kraft aufsteigen. Der Rückenwind für die Partei ist stark – der Gegenwind jedoch auch.
In der Universitätsstadt Jena blockierten Demonstrierende nur wenige Tage zuvor den Zugang für Spitzenkandidat Björn Höcke. Auf dem Land bleibt es ruhig, jedoch zeigen Gespräche in der Fußgängerzone, dass die Fronten verhärtet sind. Rund 50 Menschen nehmen an der Gegendemo teil, etwa fünfmal so viele unterstützen die AfD.
Höckes Agenda
Für manche könnte das Etikett “rechts” eine Selbstzuweisung aus Trotz sein. Andere verbergen ihre Ansichten kaum. “Alles hat einen Haken, nur das Kreuz hat vier” steht auf einem T-Shirt, “Abschiebehelfer” auf einem anderen.
Björn Höcke hat die Ärmel hochgekrempelt. Er spricht über ein Headset und gestikuliert intensiv. Die kleine Bühne zieht viele Menschen an.
Höcke kritisiert seine Gegner und macht die Demonstranten mitverantwortlich für den Messeranschlag von Solingen, bezeichnet sie als “geistige Brandstifter”. Andere Parteien nennt er lediglich “Kartellparteien”.
Einer Gruppe von Familienunternehmen, die sich gegen die AfD positioniert haben, wünscht Höcke “ernsthafte wirtschaftliche Turbulenzen”. Hinter anderen Initiativen vermutet er “Strippenzieher jenseits des großen Teiches”, also eine globale Verschwörung.
Den Menschen verspricht er ein Deutschland, in dem Asylsuchende an der Grenze sämtliche Wertsachen, Handys und Geld abgeben müssten. Nur politisches Asyl soll Schutz bieten – die Genfer Flüchtlingskonvention könnte ausgesetzt werden. Unterricht über Gleichberechtigung und sexuelle Vielfalt soll enden, und Schüler mit Behinderungen würden ausschließlich an Förderschulen lernen müssen.
“Der auserwählte Politiker”
Vor Höcke sprach Torsten Czuppon. Der Polizist, rechtskräftig verurteilt wegen der Verfolgung Unschuldiger, hat vor fünf Jahren das Direktmandat geholt. Er kann jedoch nicht von Erfolg als Abgeordneter berichten: Die AfD wird im Landtag nahezu vollständig ausgeschlossen. Czuppon erklärt: “Wenn Sie mich wählen, dann wählen Sie Björn Höcke. Er ist mein großes Vorbild.”
Über dieses Vorbild wurde kürzlich ein Film gedreht, der Höcke als Ministerpräsidenten in spe darstellen soll. Ihm zur Seite stehen Vertraute, die sich als Sprachrohr präsentieren.
Der Fokus liegt auf taktischen Aspekten. Höcke präsentiert sich als Ideologe der Neuen Rechten, der die westdeutsche AfD in eine rechtsextreme Richtung lenkt und Gerichtsprozesse gegen ihn als politische Einflussnahme darstellt.
Es bleibt unklar, warum Höcke als Spitzenkandidat vor einer Wahl solchen Themen viel Zeit widmet. Der AfD-Landtagsabgeordnete Daniel Haseloff fasst zusammen: “Für seine Unterstützer ist er der auserwählte Politiker, der dieses Land verändern kann, und für seine Gegner ist er der Teufel.”
Informationen über die Finanzierung des Films, der auf dem YouTube-Kanal eines Abgeordneten hochgeladen wurde, sind unklar. Eine Interviewanfrage zu Höcke wurde abgelehnt.
Demonstrationen gegen die AfD
In Erfurt, am Tag nach dem Sommerfest, mobilisieren Gewerkschaften, Umweltschutzgruppen und Demokratiebündnisse zu einer Demonstration “gegen rechts”. Tausende Menschen ziehen vom Anger zum Landtag und fordern ein Verbot der AfD. Eine ältere Frau hält ein Pappschild hoch: “Wer AfD wählt, gefährdet die Demokratie.”
Parallel dazu finden auch in anderen Städten wie Leipzig, Dresden, Zittau, Sonneberg und Meiningen Proteste statt. Zuvor mobilisierten Recherchen bereits Zehntausende Menschen. Obwohl die Mobilisierung zahlenmäßig zurückgegangen ist, hält sie an.
Jassin Baum von einem Aktivismus-Netzwerk äußert, dass man der AfD noch “Prozentpunkte entziehen” könnte. “Wir haben jetzt noch eine Woche Zeit!”, ruft er von der Bühne. In den aktuellen Umfragen liegt die AfD stabil bei 30 Prozent, und der Messeranschlag von Solingen war noch nicht geschehen.
Baum und andere setzen sich dafür ein, dass die AfD nicht mehr als ein Drittel aller Abgeordneten erhält. Mit einer solchen Sperrminorität könnte die Partei wichtige Entscheidungen im Landtag blockieren.
Unter den Demonstrierenden ist Jens-Christian Wagner, der Gedenkstättenleiter. Er hat einen Brief an 365.000 Thüringer Haushalte verschickt, in dem er warnt, dass Höcke versuche, “die nationalsozialistische Sprache wieder salonfähig zu machen”, und ruft dazu auf, “demokratische Parteien” zu wählen. Die Aktion wurde mithilfe eines Aktivismus-Netzwerks finanziert. Wagner hat seitdem mehrfach Drohungen erhalten.
Wagner beschreibt die Stimmung in Thüringen als “fatalistisch und unzufrieden”, auch wenn die tatsächliche Lage anders aussieht. Sollte die AfD eine Sperrminorität oder gar Einfluss auf eine Regierung erhalten, wäre das eine Katastrophe für alle Thüringer mit Migrationshintergrund oder anderen Meinungen. “Sie müssen ernsthaft besorgt sein, ob sie in Thüringen so noch leben können.”
Viele Kampagnen, viel Frust
Im Umgang mit der AfD gehen alle Parteien eigene Wege. Der CDU-Spitzenkandidat hat versucht, die Wahlkämpfe durch ein eigenes TV-Duell mit Höcke auf einen Zweikampf zu reduzieren.
In den Tagen vor der Wahl bezeichnet der CDU-Spitzenkandidat Höcke als “Gefahr für das Image und die Substanz Thüringens”. Die Befürchtung ist, dass die AfD Bewerber, insbesondere Fachkräfte, abschrecken könnte.
Die Demonstrationen, die vor allem von SPD, Grünen und Linkspartei unterstützt werden, ziehen die Aufmerksamkeit vieler ab. Die CDU-Akteure in Thüringen und Sachsen halten sich hingegen zurück. Sogar das Bündnis mit Sahra Wagenknecht gibt vor, dass unzufriedene Wähler jetzt eine “seriöse Alternative” wählen könnten.
Der Wahlkampfendspurt in Thüringen und Sachsen konzentriert sich zunehmend auf die AfD. Die CDU ruft dazu auf, sie zu wählen, um zumindest in der politischen Landschaft nicht hinter der AfD zu landen. SPD, Grüne und die Linke bitten um Stimmen für eine stabile Vertretung im Landtag, um eine AfD-Sperrminorität zu verhindern. Taktisches Wählen wird favorisiert.
Während einer der Demonstrationen äußert die Landtagsabgeordnete der Linken, dass die Menschen Angst haben. Sie kennen die potenziellen Konsequenzen einer starken AfD und sind sich unsicher, was genau auf sie zukommen könnte.
Die verschiedenen Kampagnen haben laut der Abgeordneten für viel Verwirrung gesorgt. Dabei wäre es einfach: Je mehr Menschen “demokratisch” wählen, desto kleiner wird die Präsenz der AfD. “Über diese Kraft sind sich viele noch nicht bewusst.”