Der mutmaßliche Täter von Solingen wäre 2023 nach Bulgarien überstellt worden, da Bulgarien bereit war, ihn aufzunehmen. Doch warum blieb er weiterhin in Deutschland und wie ist das im EU-Recht geregelt?
Was regelt die Dublin-III-Verordnung?
Laut der Dublin-III-Verordnung ist der Staat, in dem ein Flüchtling zum ersten Mal in die EU einreist, verantwortlich für das Asylverfahren. Entscheidet sich ein Flüchtling, nach Deutschland weiterzureisen und beantragt dort Asyl, ist Deutschland verpflichtet, den Schutzsuchenden an den zuständigen Staat zurückzuverweisen.
Dies ist eine Art der Abschiebung – jedoch nicht in das Heimatland, sondern in das Land, welches für das Asylverfahren zuständig ist. Diese Rücküberstellung muss innerhalb festgelegter Fristen erfolgen, die in der Dublin-III-Verordnung verankert sind.
Welche Fristen gibt es für die Überstellung in den zuständigen Staat?
Nach Artikel 29 der Dublin-III-Verordnung muss ein Asylsuchender in der Regel innerhalb von sechs Monaten überstellt werden. Erfolgt die Überstellung nicht innerhalb dieser Frist, wird der Staat, in dem der Flüchtling erstmals EU-Boden betreten hat, nicht mehr zuständig und muss den Flüchtling nicht mehr aufnehmen. In diesem Fall wird Deutschland zuständig für das Asylverfahren.
Warum gibt es diese Frist überhaupt?
Die Frist soll sicherstellen, dass betroffene Personen so schnell wie möglich an den zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden. Andernfalls könnten sich die Verfahrenszeiten übermäßig in die Länge ziehen. Ein ineffizienter, nicht zuständiger Staat könnte somit selbst zuständig für das Verfahren werden.
Der europäische Gerichtshof hat 2022 klargestellt, dass die Frist nicht beliebig verlängert werden kann, solange es keine stichhaltigen Gründe gibt, die die Dublin-III-Verordnung selbst berücksichtigt. Diese Entscheidung gilt insbesondere in Bezug auf Ausnahmesituationen wie die COVID-19-Pandemie.
Welche Ausnahmen der Frist kennt die Verordnung selbst?
Die Dublin-III-Verordnung bietet einige Ausnahmen, die eine Verlängerung der Sechs-Monats-Frist bis auf 18 Monate ermöglichen, beispielsweise wenn die betreffende Person „flüchtig“ ist, also aktiv der Überstellung entgeht.
Was muss genau erfüllt sein, damit sich die Frist verlängert?
Verschiedene Gerichtsurteile behandeln die Definition von „flüchtig“. Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass eine Person als “flüchtig” gilt, wenn sie sich bewusst den zuständigen Behörden entzieht, um die Überstellung zu verhindern. Ein einmaliges Nichterreichen an einem Wohnort reicht jedoch nicht aus, um die Frist zu verlängern.
Wissen die Behörden, wo sich die betroffene Person aufhält, oder unternehmen sie keine ernsthaften Anstrengungen zur Überstellung, bleibt die ursprüngliche Sechs-Monats-Frist bestehen. Der Asylsuchende ist auch nicht verpflichtet, aktiv zur Überstellung beizutragen.
Wie war die Lage beim mutmaßlichen Täter von Solingen?
Issa al H. reiste im Dezember 2022 nach Deutschland und stellte hier einen Asylantrag, der aufgrund der Dublin-III-Verordnung zunächst nicht geprüft wurde, da Deutschland sich für unzuständig erklärte. Issa al H. hatte die EU erstmals in Bulgarien betreten. Bulgarien erklärte sich bereit, ihn aufzunehmen, aber die Gründe für die gescheiterte Überstellung müssen noch aufgeklärt werden.
Im Juni 2023 scheiterte die Überstellung, weil die zuständige Ausländerbehörde in Bielefeld ihn nicht antreffen konnte. Es bleibt unklar, ob er tatsächlich „flüchtig“ war oder ob er lediglich zeitweise nicht an seinem Wohnort aufgefunden werden konnte. Hätte die Frist möglicherweise auf 18 Monate verlängert werden können? Die genauen Umstände müssen noch geklärt werden, bevor eine definitive Aussage getroffen werden kann.
Wie viele Überstellungen nach dem Dublin-Verfahren gibt es derzeit?
In der ersten Jahreshälfte 2024 wurden laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 40.000 Übernahmeersuchen an andere EU-Mitgliedstaaten gestellt. In 25.000 Fällen haben die Staaten dem zugestimmt, jedoch fanden nur rund 3.500 tatsächliche Überstellungen statt.