Interview
Das neue Bekennervideo des Solingen-Anschlags wirft Licht auf die Hintergründe. Ein Interview mit einem Experten zeigt, warum die Authentizität des Videos als gesichert gilt.
ECNETNews: Herr Al-Tamimi, Sie haben das Bekennervideo des mutmaßlichen Attentäters von Solingen analysiert. Was macht dieses Video authentisch?
Experte: Ich habe das Video nach dem Anschlag in einem Kanal gefunden, der offizielle Propaganda des IS verbreitet. Es trägt zudem das offizielle Logo der “Amaq News Agency”, was auf seine Authentizität hinweist. Die Informationen im Video stimmen mit den Erkenntnissen der deutschen Behörden überein und decken sich mit den Details des Täters.
Zur Person
Aymenn Jawad Al-Tamimi ist ein angesehener Forscher mit Schwerpunkt auf den IS und seiner Propaganda. Er hat über die historischen Narrative in der IS-Propaganda promoviert und lebt in Spanien.
ECNETNews: Ist es ungewöhnlich, dass das Video erst zwei Tage nach der Tat veröffentlicht wurde?
Experte: Nein, es kommt häufig vor, dass zwischen der Tat und der Veröffentlichung eines Bekennervideos mehrere Tage vergehen. Bereits einen Tag nach dem Anschlag gab es erste Hinweise über den Zusammenhang des Täters mit dem IS.
ECNETNews: Was ist im Video zu sehen?
Experte: Das Video besteht aus drei Clips, die der Attentäter selbst aufgezeichnet hat. Im ersten Clip sieht man ihn maskiert in einem Raum, wo er seine Treue zum IS erklärt. Er bezieht sich auf Massaker an Christen und verspricht Rache.
Im zweiten Clip richtet er Botschaften an seine Eltern und bittet um Vergebung, während er sich auf die Rache für die Situation in Palästina konzentriert.
Der letzte Clip, der entscheidende Hinweise zur Authentizität gibt, zeigt ihn in Solingen kurz vor dem Attentat, wobei im Hintergrund bestimmte Werbeplakate zu sehen sind, die wir nun mit dem Tatort verbinden können.
ECNETNews: Wie beurteilen Sie die Reaktionsmuster des IS auf solche Taten?
Experte: Es überrascht nicht, da der IS kontinuierlich zur Durchführung von Anschlägen gegen Ungläubige aufruft. Im aktuellen Kontext führt der Konflikt zwischen Israel und Hamas sicherlich zu einer weiteren Radikalisierung. Der IS verfolgt das Ziel eines globalen Kalifats und nutzt jede Gelegenheit zur Mobilisierung seiner Anhänger.
ECNETNews: Welche Kriterien gibt es für den IS, um eine Tat für sich zu beanspruchen?
Experte: Eine persönliche Erklärung der Treue zum IS in Form eines Videos ist ausreichend, um eine solche Tat für den IS zu reklamieren. Es ist unerheblich, wie stark der Täter mit dem IS verbunden ist. Der Anschlag in Solingen ist möglicherweise kein Teil einer strategischen Offensive des IS, sondern vielmehr das Handeln eines Einzelnen in einem passenden Moment.
ECNETNews: Stellt dies eine Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar?
Experte: Definitiv. Menschen können aus verschiedenen Gründen in Länder einreisen und sich später radikalisieren, was Schwierigkeiten bei der Identifikation potenzieller Täter mit sich bringt.