Ein Jahr nach der Kontroverse um Hubert Aiwanger stellt sich die Frage: Kann er der politische Sturm überstehen?
Am Abend des 25. August 2023 erschüttert eine Nachricht die bayerische Landespolitik: Hubert Aiwanger, Vorsitzender der Freien Wähler, steht im Verdacht, als Schüler ein antisemitisches Flugblatt verfasst zu haben.
In dem Flugblatt wird provokant gefragt: Wer ist der größte Vaterlandsverräter? Zu gewinnen ist ein “Freiflug durch den Schornstein von Auschwitz”. Sofort entbrennt die Debatte, ob Aiwanger Vize-Ministerpräsident bleiben kann.
Aiwangers Bruder spricht
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordert eine umfassende Aufklärung: “Dieses Flugblatt ist menschenverachtend und abscheulich.” Aiwanger gibt zu, dass “ein oder wenige Exemplare” des Flugblatts in seiner Schultasche gefunden wurden, distanziert sich jedoch vom Verfassen.
Am Abend des 26. Augusts, nur rund 24 Stunden nach den ersten Berichten, ändert sich die Situation dramatisch. Aiwangers älterer Bruder, Helmut, gesteht in einem Interview, das Flugblatt selbst geschrieben zu haben.
Rücktrittsforderungen nehmen zu
Trotz dieser Erklärung bleiben Zweifel. Aiwanger präsentiert sich als Opfer einer Schmutzkampagne, während zahlreiche Stimmen in der Öffentlichkeit, darunter ehemalige Mitschüler, rechte Ansichten in seiner Schulzeit anprangern.
Aiwanger weist die Vorwürfe zurück, bietet jedoch Entschuldigungen an, falls er jemandes Gefühle verletzt haben sollte. Söder stellt Aiwanger schließlich einen Fragenkatalog, dessen Antworten jedoch nicht durchweg überzeugen, was zu weiterer Kritik führt.
Aiwanger bleibt im Amt
Trotz der Vorwürfe behält Söder Aiwanger im Amt, da politische Alternativen ausbleiben.
Der Skandal kumuliert in einer bemerkenswerten Wendung: Bei der darauffolgenden Landtagswahl erzielt Aiwangers Partei 15,8 Prozent, das beste Ergebnis ihrer Geschichte. Sein öffentlicher Auftritt nach der Kontroverse förderte seine Bekanntheit, und er wurde ein gefragter Talkshow-Gast. Aktuelle Umfragen zeigen jedoch, dass seine Partei in Bayern wieder bei 12 Prozent angelangt ist, was eine Bundestagskandidatur 2025 in Frage stellt.
Ist der Skandal verblasst?
Politikwissenschaftlerin Jasmin Riedl äußert, der Skandal habe an Bedeutung verloren, doch das Vertrauen in Aiwanger innerhalb jüdischer Gemeinden bleibe erschüttert.
Aiwanger hätte dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, zufolge die KZ-Gedenkstätte Dachau besuchen sollen, doch solche Forderungen schienen unerledigt.
Anspannungen zu jüdischen Gemeinden
Auch Ministerpräsident Söder betont, dass Aiwanger daran arbeiten müsse, “verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen” und den Dialog mit jüdischen Gemeinden suchen soll. Von einem öffentlichen Besuch in Gedenkstätten ist bislang nichts bekannt, und Gespräche mit dem Zentralrat der Juden blieben aus.
Nach Rückfragen bei mehreren jüdischen Gemeinden in Bayern bleibt ein Kontakt zu Aiwanger aus, was sie nicht weiter kommentieren möchten. Eine für Ende Juli geplante Reise Aiwangers nach Israel wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt.
Riedl sieht in Aiwangers Reaktion kein unerwartetes Verhalten: Aus seiner Sicht habe er keine Verantwortung übernommen, da er nicht der direkte Verfasser des Flugblatts sei. Für Aiwanger war die Angelegenheit erledigt, nachdem Söder ihm sagte, dass er im Amt bleiben könne.