Zehn Jahre war Anne Brorhilker als Staatsanwältin und Chef-Ermittlerin im größten Steuerraub aller Zeiten, dem Cum-Ex-Skandal, tätig. Bei diesen komplexen Transaktionen profitierten Banken von Gesetzeslücken im Aktienhandel, wodurch sie die Kapitalertragsteuer, die nur einmal gezahlt wurde, mehrfach erstattet bekamen. Infolge dieser Machenschaften verloren die Steuerbehörden mindestens 12 Milliarden Euro. Während ähnliche Cum-Cum-Deals in sogar noch grausamerem Maße dazu führten, dass Banken enorme Steuerrückforderungen stellten, auf die sie nie Anspruch hatten, beliefen sich die daraus resultierenden Verluste auf bis zu 28,5 Milliarden Euro. Aufgrund der mangelhaften Aufklärung kündigte Brorhilker im April 2024 und wechselte zur Bürgerbewegung Finanzwende. In einem aktuellen Gespräch skizziert sie ein besorgniserregendes Bild eines Staates, der aus diesem gewaltigen Steuerraub nur wenig gelernt hat und weiterhin den Finanzkriminellen ausgeliefert ist.
### Brorhilker reflektiert über ihren Abschied
Brorhilker erklärt, dass sie die Entscheidung, ihren Posten niederzulegen, nicht bereut. Sie hatte festgestellt, dass die Verwaltungsstrukturen in Deutschland im Bereich Wirtschaftskriminalität unzureichend sind, was Finanzkriminalität begünstigt. Der Mangel an öffentlichem Bewusstsein für diese Defizite und der fehlende politische Wille zur Veränderung haben sie dazu bewegt, ihre Stimme zu erheben.
### Aufdeckung der Systemschwächen
Sie hebt hervor, dass die Justizbehörden chronisch unterbesetzt sind und die Prioritäten oft nicht den größten Schäden oder der höchsten kriminellen Energie entsprechen. Sie fordert, dass der Staat besser daran arbeiten sollte, die verlorenen Gelder zurückzuholen, anstatt sich auf leichtere Fälle zu konzentrieren.
### Deregulierung als Treiber der Kriminalität
Brorhilker sieht die Deregulierung im Finanzsektor als einen der Hauptgründe für die Aufkommenden Cum-Ex- und Cum-Cum-Skandale. Sie betont, dass ein Abbau von Kontrollen die Kriminalität begünstigt. Ihre Meinung ist klar: Es muss ein Umdenken bei den Regeln und Prioritäten geben, um effektiv gegen Finanzverbrechen vorzugehen.
### Bürokratie oder Kontrolle?
Brorhilker warnt, dass Bürokratieabbau oft mit dem Verlust entscheidender Kontrollmechanismen einhergeht. Ein Beispiel hierfür ist die kürzlich beschlossene Verkürzung der Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege, die es Ermittlungsteams erschwert, Steuerbetrug rechtzeitig zu erkennen.
### Notwendigkeit einer spezialisierten Behörde
Um der schweren Wirtschaftskriminalität wirksam zu begegnen, plädiert Brorhilker für eine zentrale Stelle auf Bundesebene, die internationale Wirtschaftskriminalität verfolgt. Diese Institution könnte gezielte Ermittlungen fördern und die Kontrolle über Finanzinstitute verbessern.
### Stärkung der Ermittlungsbehörden
Brorhilker fordert nicht nur strukturelle Veränderungen in der Behörde, sondern auch eine Stärkung des Selbstbewusstseins der Mitarbeiter. Nur so kann eine konsequente Verfolgung von Finanzkriminalität gewährleistet werden.
Insgesamt unterstreicht Brorhilker die Dringlichkeit einer reformierten Justiz und wirksamerer Maßnahmen zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität, um künftig dem Staatsversagen entschlossen entgegenzutreten.