Analyse
Vor drei Jahren präsentierte Kanzler Scholz ein Sondervermögen zur Stärkung der Bundeswehr. Was ist seither geschehen und welche neuen Herausforderungen stehen bevor?
“Wir erleben eine Zeitenwende”, verkündete Olaf Scholz am 27. Februar 2022 im Bundestag, nur wenige Tage nach dem Beginn des russischen Übergriffs auf die Ukraine. Die Welt, so stellte der Kanzler fest, sei nicht mehr die gleiche. Er kündigte an, die deutsche Sicherheit deutlich zu stärken.
Scholz initiierte ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro, um die Bundeswehr nach Jahren des Sparens in einem neuen Bedrohungsszenario wieder einsatzbereit zu machen. Verteidigungsminister Boris Pistorius bezeichnete die Zielsetzung als “kriegstüchtig”.
“Man hätte schneller handeln können”
Dennoch dauerte es lange, bis diese Ankündigungen in der Bundeswehr sichtbar wurden. Im Jahr 2022 wurde aus dem Sondervermögen kein einziger Euro abgerufen. Insbesondere die lange Vorlaufzeit für hochspezialisierte militärische Ausrüstung ist ein Grund für die Verzögerungen. Experten wie Christian Schweppe äußern sich kritisch: “Man hätte schneller handeln können und müssen. Heute fragt man sich: Was ist aus den 100 Milliarden geworden?”
Bürokratische Verfahren mussten beschleunigt werden
Die Bundeswehr kämpft jedoch gegen bürokratische Hürden. Insbesondere das Beschaffungsamt in Koblenz steht oft in der Kritik. Verteidigungsminister Boris Pistorius beschreibt es als “meistgescholtene Behörde Deutschlands”.
Um Verbesserungen zu erzielen, wurden 80 Vorschriften abgeschafft und Verfahren beschleunigt. Statt maßgeschneiderter Lösungen setzt das Beschaffungsamt nun auf verfügbare militärische Ausrüstung. “Hier wird die Zeitenwende umgesetzt”, erklärt Pistorius bei einem Besuch in Koblenz.
Im Jahr 2024 plant das Amt 97 Großprojekte im Wert von rund 60 Milliarden Euro – ein Rekord. Bald sollen neue Radhaubitzen und ein Nachfolger für den Transportpanzer Fuchs eingeführt werden, während der Rollout des neuesten Leopard 2 Kampfpanzers im Sommer ansteht.
Politologin Claudia Major bezeichnet die bisherigen Fortschritte als revolutionär. Sie verweist auf den gestiegenen Verteidigungshaushalt und die Waffenlieferungen an die Ukraine: “Das wäre im Januar 2022 unvorstellbar gewesen.”
Dennoch reicht dies nicht aus, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Die Verteidigungsausgaben haben zwar die Zielmarke von zwei Prozent erreicht, jedoch fordert die NATO mittlerweile eine Überprüfung der nationalen Anforderungen. Angesichts politischer Unsicherheiten in den USA wird ein stärkerer Fokus auf die europäische Sicherheit verlangt.
“Die Zukunft der deutschen Sicherheitspolitik steht auf der Kippe”, warnt Jana Puglierin, Leiterin des European Council on Foreign Relations. “Wir müssen jetzt aktiv werden und unsere Strategie überdenken.”
Dringende Entscheidungen erforderlich
Die Dringlichkeit von Reformen zeigt sich auch bei den Diskussionen um eine Schuldenbremse. Friedrich Merz hat bereits kurz nach der Bundestagswahl auf eine Reform gedrängt, um die Finanzierung der Bundeswehr zu sichern.
Währenddessen machen geopolitische Spannungen die transatlantischen Beziehungen fragiler denn je. Die Frage bleibt, ob die USA weiterhin als verlässlicher Partner fungieren können.
Neben den Politiken müssen auch Worst-Case-Szenarien in Betracht gezogen werden, insbesondere das potenzielle Abziehen von US-Truppen aus Europa und die damit verbundenen sicherheitspolitischen Folgen.
Experten warnen, dass die europäischen Staaten möglicherweise einen massiven Rüstungsaufrüstungsprozess anstoßen müssen, um auf die Bedrohungslage angemessen reagieren zu können.
Finanzierung im Fokus
Die Finanzierung aller Maßnahmen stellt eine große Herausforderung dar. Anzeichen deuten darauf hin, dass ohne entsprechende finanzielle Spielräume innerhalb der bestehenden Schuldenbremse keine ausreichend schnelle Umsetzung möglich ist.
Olaf Scholz betonte auf der Sicherheitskonferenz den enormen finanziellen Bedarf, der über 100 Milliarden Euro hinausgeht. “Bis Ende dieses Jahrzehnts müssen wir mit dreistelligen Milliardensummen rechnen.”
Sein möglicher Nachfolger Friedrich Merz stellt ebenfalls keine Fragen zur Notwendigkeit dieser Summen. Um den Bedarf zu decken, könnten Verfassungsänderungen nötig werden, um langfristige Rüstungsprojekte zu finanzieren.
Verteidigungsminister Pistorius betont, dass ohne Anpassungen bei der Schuldenbremse eine adäquate Ausstattung der Bundeswehr nicht möglich sei.
Die Frage wird sein, wie der neue Bundestag mit den Herausforderungen umgeht, besonders angesichts der sich verändernden Mehrheitsverhältnisse und der Notwendigkeit breiter Zustimmung bei Verfassungsänderungen.