Analyse
Bundeswehr im globalen Einsatz: Zwischen Ukraine-Hilfe, Mittelmeer- und Ostsee-Operationen sowie der deutschen Brigade in Litauen wachsen die Erwartungen an Deutschland. Kann die Bundeswehr diesen Herausforderungen gerecht werden?
Verteidigungsminister Boris Pistorius kennt die Herausforderungen eines Besuchs in der Ukraine. Von der langen Anreise über Luftalarme bis hin zu den großen Erwartungen der ukrainischen Partner, die Deutschland für seine Unterstützung loben und gleichzeitig weitere Hilfe einfordern. Dies ist nicht sein erster Besuch in Kiew, aber möglicherweise der letzte in seiner Rolle als Verteidigungsminister.
In Deutschland hingegen hat ein Wahlkampf begonnen, in dem der Begriff “Krieg” zunehmend vermieden wird. Der zögerliche Umgang des Kanzlers mit einem Unterstützungspaket von rund drei Milliarden Euro für Kiew vermittelt ein klares Bild.
Im Gegensatz dazu steigen die Erwartungen der Partnerländer an Deutschland stetig: Als das wirtschaftlich stärkste Land der EU wird gefordert, dass Deutschland mehr Verantwortung im Bereich Sicherheit übernimmt.
Koordinierung unter EU-Ländern gefordert
Bei einem Treffen mit seinen NATO-Kollegen aus Polen, Frankreich, Großbritannien und Italien zur Verbesserung der Rüstungskooperation kam Pistorius zu dem Ergebnis, dass eine intensivere Zusammenarbeit notwendig ist. Die Herausforderungen der gemeinsamen Produktion, wie beim deutsch-französischen Luftkampfsystem FCAS, sind dabei nicht zu unterschätzen.
Zudem planen die beteiligten Länder, der Ukraine beim Aufbau einer unabhängigen Rüstungsproduktion zu helfen, was als Teil einer Sicherheitsgarantie angesehen wird. Doch mehr Verantwortung bedeutet auch mehr Kapazitäten und finanzielle Mittel für Deutschland.
Die Übernahme des taktischen Hauptquartiers der NATO in der Ostsee seit Oktober zeigt bereits, dass Deutschland bereit ist, mehr Verantwortung zu übernehmen, auch wenn niemand im Verteidigungsministerium von einer Führungsrolle sprechen möchte.
Die Ankündigung des Bundeskanzlers, Schiffe für die Sicherung der digitalen Infrastruktur auf dem Meeresboden bereitzustellen, ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Die Möglichkeiten der deutschen Marine
Doch wie viel Verantwortung kann die deutsche Marine leisten? Ob bei der Bekämpfung von Waffenschmuggel im Libanon, dem Einsatz vor Libyen oder dem Schutz der Mittelmeersicherheit – die Anforderungen sind vielfältig. Auch im Pazifik und der Ostsee wird mehr Engagement gefordert.
Das Verteidigungsministerium ist jedoch der Meinung, dass all dies machbar ist. Die Realität ist jedoch eine andere: Die Bundeswehr leidet unter jahrelanger chronischer Unterfinanzierung. Für die zunehmende Verantwortung sind mehr finanzielle Mittel erforderlich.
Das Litauen-Projekt im Rahmen der “Zeitenwende”
Ein weiteres zentrales Projekt ist die Brigade in Litauen, die als “Leuchtturmprojekt der Zeitenwende” bezeichnet wird. Zum ersten Mal wird die Bundeswehr nicht nur die NATO-Ostflanke verstärken, sondern auch eine dauerhafte Präsenz in Litauen aufbauen.
Es entstehen Kasernen, in denen rund 5.000 Soldaten und Soldatinnen dauerhaft stationiert werden sollen. Ein Konzept, das auch durch die US-Kasernen in Deutschland bekannt ist.
Herausforderungen bei der Materialbeschaffung
Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Verteidigungsminister Schwierigkeiten hat, die notwendige Ausrüstung zu beschaffen. Der Inspekteur des Heeres wies kürzlich auf den “grenzwertigen” Zustand der Truppe hin, was ein ernstes Problem darstellt.
Die Rekrutierung von Soldatinnen und Soldaten, die bereit sind, an der Grenze zu Russland und Belarus zu leben, erfordert Anreizprogramme, die ebenfalls finanziert werden müssen.
Sondervermögen für die Bundeswehr
Um die notwendigen Ausgaben für die Landes- und Bündnisverteidigung zu decken, wurde ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro bereitgestellt. Dieses Geld ist größtenteils bereits in Rüstungsprojekte investiert, die bei der Industrie bestellt wurden.
Dennoch bleibt ein großer Bedarf an weiteren Mitteln für dringend benötigte Ausrüstungen, wie die von Pistorius bestellten U-Boote. Die Finanzierung dieser Projekte wird eine Herausforderung für die zukünftige Bundesregierung sein.
Die Realisierung der Rüstungsprojekte wird mehrere Jahre in Anspruch nehmen, und um 2029 “kriegstüchtig” zu sein, sind die aktuellen Bemühungen bei weitem nicht ausreichend.
Zukünftige Anforderungen durch die USA
Zukünftig wird es einen neuen US-Präsidenten geben, der möglicherweise die Erwartungen an die europäische Sicherheit verschärfen wird. Die EU-Rüstungsindustrie muss schnell aufgerüstet werden, was immense Kosten verursachen kann. Dies wird für Deutschland eine zusätzliche finanzielle Belastung darstellen.
Der Wiederaufbau und die Sicherung des ukrainischen Kernlandes werden erforderlich sein, sollten Frieden und Stabilität in der Region erreicht werden. Dies könnte die Entsendung deutscher Truppen in die Ukraine nach sich ziehen.
Debatte über Verteidigungsausgaben in Deutschland
Die Forderung des zukünftigen US-Präsidenten an NATO-Länder, fünf Prozent ihres BIP für Verteidigung auszugeben, stößt in Deutschland auf Widerstand. Dies würde bedeutende Budgetbelastungen nach sich ziehen, wobei die Bundesrepublik in diesem Jahr nur knapp zwei Prozent der Militärausgaben erreicht hat.
Boris Pistorius strebt an, in einer zukünftigen Bundesregierung weiterhin als Verteidigungsminister tätig zu sein. Angesichts der steigenden Anforderungen an die Bundeswehr wird es jedoch zunehmend ungewiss, ob er in der Lage sein wird, diese Herausforderungen zu erfüllen.
Die stressigen Reisen nach Kiew sind nur der Anfang der Herausforderungen, die dieser Job mit sich bringt.