Wissenschaftler fordern von der neuen Bundesregierung eine nachhaltigere Ausrichtung der Landwirtschaft, während der CSU-Kandidat für das Agrarministerium zentrale Fakten zu Arten- und Klimaschutz in Frage stellt.
Während der CDU-Chef Friedrich Merz an der Bildung einer neuen Regierungskoalition arbeitet, äußert der CSU-Vorsitzende Markus Söder bereits seine Vorstellungen zu Ministerposten. Sein Wunschkandidat für das Bundeslandwirtschaftsministerium ist der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, Günther Felßner, was er nach der Wahl erneut bekräftigte.
Im Januar hatte Söder anlässlich der Internationalen Grünen Woche erklärt, dass er alles tun werde, damit Bauernpräsident Felßner das Ministeramt und damit die erforderlichen „Schalthebel der Macht“ übernehmen kann.
Experten warnen: Rückgang der biologischen Vielfalt
Agrarwissenschaftler fordern dringend eine Neuausrichtung der Agrarpolitik, um die Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten. Sie betonen, dass Artenvielfalt und Klimaschutz entscheidend für die Nahrungsmittelproduktion sind, wie der Agrarwissenschaftler Sebastian Lakner von der Universität Rostock erklärt.
Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina warnt vor einem dramatischen Rückgang der biologischen Vielfalt, was ernsthafte Folgen für Ökosysteme und das Wohlergehen der Menschen mit sich bringen könnte.
Was plant Felßner in seiner Rolle als Agrarminister? In einem Interview hebt er hervor, dass er einen echten Politikwechsel herbeiführen möchte, um die Ernährungsgrundlage zu sichern und die Produktion von Lebensmitteln zu fördern, wobei er auch die Biodiversität schützen will.
Die Agrarforscherin Miriam Athmann betont die Dringlichkeit, die Rückgänge in der Biodiversität anzugehen, die sich als besorgniserregender darstellen als je zuvor.
In Deutschland haben beispielsweise die Bestände von Agrarvögeln in den letzten 25 Jahren um etwa 30 Prozent abgenommen, erläutert die Biologin Katrin Böhning-Gaese vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig.
Landwirtschaft auf Kosten des Ökosystems?
Die Ursachen für den Rückgang vieler Arten sind vielfältig: Es mangelt an Hecken, Bäumen, kleinen Gewässern und Randstreifen, was durch den hohen Einsatz von Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln verschärft wird. Die moderne Landwirtschaft ist oft auf maximale Erträge zugunsten stabiler langfristiger Ökosysteme ausgerichtet, so die Forscherin.
Auch der hohe Fleischkonsum verstärkt den Rückgang der Artenvielfalt, da der Anbau von Futtermitteln und die Viehzucht große Flächen beanspruchen. Ob Felßner diese Herausforderungen als Agrarminister angehen wird, bleibt abzuwarten.
Bei einem CSU-Parteitag Anfang Februar betonte Felßner, die Ernährungssicherheit müsse ohne staatliches Eingreifen in die Produktionen gewährleistet werden, wobei der Schutz von Artenvielfalt und Umwelt zentrale Punkte seiner Agenda sind.
Eine grundlegende Reform der Tierhaltung sei erforderlich, so Athmann, da sie einen erheblichen Einfluss auf den Klimawandel hat. Die Reduzierung der Tierbestände sei daher ein wichtiger Hebel für Verbesserungen.
Vorschrift für Naturschutz ausgesetzt
Für eine nachhaltigere Landwirtschaft empfiehlt Böhning-Gaese unter anderem mehr Weidehaltung, vielfältigere Anbaukulturen und eine Reduzierung des Einsatzes von Düngemitteln und Pestiziden.
Die EU hatte Landwirtinnen und Landwirte bereits 2023 verpflichtet, vier Prozent ihrer Flächen stillzulegen, um mehr natürliche Lebensräume zu schaffen. Diese Vorschrift wurde jedoch zuletzt ausgesetzt.
Felßner: “Das werden wir drehen”
Felßner äußerte sich skeptisch zur Reduzierung von Tierbeständen und der Flächenstilllegung. Er betrachtet diese Konzepte als veraltete Ansätze. Dennoch sieht er keinen Bedarf für geringeren Pflanzenschutz und nimmt eine deutlich andere Haltung zu den gegenwärtigen Herausforderungen des Klimas und der Artenvielfalt ein.
Wissenschaftler widersprechen Felßners Auffassungen und betonen, dass eine Reduzierung der Nutztierhaltung und eine Ernährung mit mehr pflanzlichen Lebensmitteln entscheidend für den Klimaschutz sind.
Söder hält an Personalie fest
Vor einem Jahr sprach Felßner Themen an, die sich mit den aktuellen Herausforderungen decken, und stellte öffentlich plakativ in Frage, ob eine pflanzliche Ernährung einen positiven Einfluss auf das Klima haben kann.
Trotz seiner umstrittenen Ansichten bleibt CSU-Chef Söder überzeugt, dass Felßner der richtige Mann für das Bundeslandwirtschaftsministerium ist. „Ich halte an Günther Felßner fest“, so Söder nach der Bundestagswahl.
Zuletzt warnte die Europäische Umweltagentur, dass die Mitgliedstaaten der EU dringend Maßnahmen ergreifen müssen, um den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen.
Das Weltwirtschaftsforum zählte den Verlust von Biodiversität und den Mangel an Klimaschutz zu den größten Bedrohungen für die Weltbevölkerung.