Reportage
Bundespräsident Steinmeier besucht Stendal: Gespräche mit Bürgern im Fokus
Die Sonne strahlt über die lebendige Fußgängerzone von Stendal, wo Menschen in Eiscafés verweilen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bewegt sich mit seiner Begleitmannschaft durch die Straßen.
Johanna Schröder hat Glück und ergattert ein Foto mit dem Bundespräsidenten, gefolgt von einem kurzen Gespräch. Ihr strahlendes Gesicht spiegelt die Freude wider, auch wenn unsichere Zeiten anhalten. „Was kostet heutzutage nichts? Sprit, Lebensmittel – alles ist teuer“, beklagt sie.
Verhaltene Stimmung in Stendal
Die Atmosphäre in der Fußgängerzone ist gedämpft. Passanten zeigen Interesse, doch tosenden Beifall gibt es nicht, selbst als Steinmeier wiederholt zu den Menschen winkt. Während der Präsident aus Berlin zu Besuch ist, beobachten einige mit verschränkten Armen.
Steinmeier bleibt drei Tage in Stendal. Sein Programm namens „Ortszeit“ zielt darauf ab, den Dialog außerhalb der Hauptstadt zu stärken. „Die Sprachlosigkeit in der Gesellschaft und die Distanz zur Politik gefährden unsere Demokratie“, betont der Bundespräsident zum Auftakt.
„Irgendwann gab es den großen Knall“
Bei seinem Besuch eines Obsthofs äußern Landwirte ihren Unmut über die schleppende Kommunikation bei Umweltvorschriften. Kerstin Ramminger vom Kreisbauernverband erklärt, dass viele das Gefühl haben, übergangen zu werden. „Entscheidungen werden getroffen und einfach umgesetzt – das ist über Jahre gewachsen und hat irgendwann zu einem großen Knall geführt“, sagt sie.
Juniorchef André Stallbaum berichtet, dass die Vielzahl an Berichtspflichten die Bauern belastet. „Ich verbringe viel Zeit mit sinnlosen Dokumentationen statt mit meiner eigentlichen Arbeit.“
Kerstin Ramminger beklagt zudem das abnehmende Gesprächsklima: „Viele haben das Gefühl, nichts mehr sagen zu können und ziehen sich zurück.“
Lebhafte Debatte zur Migration
Dies ist Steinmeiers zwölfte „Ortszeit“. Der Bundespräsident verlegt sein Büro gezielt in strukturschwächere Regionen. In Stendal erzielte die AfD bei der Kommunalwahl im Juni fast 30 Prozent der Stimmen.
Seinen Gesprächen vorangestellt sind Treffen mit Kommunalpolitikern, wobei auch ein AfD-Vertreter anwesend ist. Öffentlich sichtbar sind Diskussionen mit verschiedenen Bürgern, darunter Ukraine-Helfer und lokale Führungspersönlichkeiten.
Die Debatte zu Migration erweist sich als lebhaft, mit dem Fokus auf Integrationsproblemen. Während ausländische Fachkräfte willkommen sind, gibt es gemischte Erwartungen an ihre Integration. Einige Teilnehmer berichten von Anfeindungen, trotz ihres Wohlbefindens in Stendal.
„Ich will nicht kriegstüchtig werden“
Bei der Diskussion um den Ukraine-Konflikt kritisieren Bürger die Bundesregierung für ihre Fokussierung auf Waffenlieferungen. Jochen Clauß, der Hilfstransporte organisiert, betont, dass der Krieg durch Dialog beendet werden müsse.
Claudia Kuhn, eine im Ruhestand befindliche Pfarrerin, erinnert an die Zeiten der Friedlichen Revolution und deren waffenlosen Widerstand, der den Glauben an Veränderung ohne Gewalt bekräftigt.
Steinmeier will die „Erreichbaren erreichen“
Steinmeier führt die Kaffeetafel für zweieinhalb Stunden, wobei er die Notwendigkeit von militärischer Unterstützung für die Ukraine unterstreicht. Er fordert zu mehr bürgerlichen Dialogen auf und betont: „Demokratie lebt vom rationalen Argumentieren.“
Der Bundespräsident erkennt jedoch auch die Grenzen seines Dialogs an. „Die Erreichbaren erreichen“ zeigt, dass es auch Stimmen gibt, die nicht mehr erreichbar sind. Dennoch bleibt er optimistisch, dass es mehr „Erreichbare“ gibt, als viele denken.