Die Architektur der DDR, repräsentiert durch die ikonischen Bauten wie die Kongresshalle, das Haus des Lehrers und den Fernsehturm in Berlin, ist untrennbar mit dem Namen Hermann Henselmann verbunden. Henselmann, einer der Mitbegründer der Ostmoderne und langjähriger Chefarchitekt der DDR, war für innovative Entwürfe verantwortlich, die prägend für das Stadtbild waren. In dem neuen Roman “Die Allee” gewährt seine Enkelin einen tiefen Einblick in sein bewegtes Leben und das seiner Familie.
Während viele Menschen DDR-Architektur mit Plattenbauten assoziieren, hebt der Roman hervor, dass es auch außergewöhnliche modernistische Bauwerke gab, zu denen Henselmanns Entwürfe gehörten. Seine Visionen wurden oftmals von politischen Strömungen herausgefordert, die seine kreativen Ansätze erstickten. “Die Allee” beleuchtet nicht nur Henselmanns berufliche Herausforderungen, sondern auch die persönlichen Kämpfe innerhalb seiner Familie.
Das Buch beginnt im Jahr 1931, als Henselmann seine spätere Frau, Irene von Bamberg, trifft, und endet mit seinem Tod im Jahr 1995. Die Erzählung umfasst bedeutende historische Epochen wie die Weimarer Republik, die NS-Zeit und die Jahre des Kalten Krieges. Henselmann navigierte durch diese turbulente Zeit, beschreibt seine Strategie als “Hakenschlagen”, um sich in einem sich ständig wandelnden politischen Umfeld zu behaupten.
Herausforderungen und Provokationen
Als seine Pläne für die Stalinallee als zu westlich abgelehnt werden, passt er seine Entwürfe an und zeigt seinen Unmut über die Forderungen mit dem statement: “Wenn sie Scheiße wollen, baue ich ihnen bessere Scheiße als alle anderen.” Viele seiner markanten Gebäude wie die Turmbauten am Frankfurter Tor gehen auf seine Änderungen zurück, dennoch verwirft er seine modernen Ideen zugunsten politisch korrekter Entwürfe.
Als er ein Regierungsgebäude für die sozialistische Hauptstadt entwerfen soll, stößt er mit seiner radikalen Idee eines “Turms der Signale” auf Widerstand. Die Pläne für einen beeindruckenden Turm – inspiriert von mehrheitlich modernen Konzepten – werden schließlich nicht umgesetzt, während der ikonische Fernsehturm Jahre später erbaut wird.
Der Mensch hinter dem Architekten
Henselmanns Karriere ist von Höhen und Tiefen geprägt, die zeigen, dass er oft zwischen künstlerischem Streben und politischen Notwendigkeiten hin- und hergerissen war. Zwischenzeitlich ins Abseits verbannt, kämpft er weiter für Wohnkonzepte, die den Bedürfnissen der Menschen gerecht werden. Dabei entstehen markante Wohnbauten am Leninplatz, jedoch bleibt sein begehrter Bibliotheksentwurf unerfüllt.
Die Erzählung offenbart auch die komplexe Beziehung zu seiner Frau und seinen Kindern, die zwischen Zuneigung und einem Gefühl der Unterdrückung balancieren. Henselmanns strenge Erziehungsmethoden und sein Drang, die Kinder nach seinen Vorstellungen zu formen, führen zu Spannungen in der Familie.
In “Die Allee” verbinden sich historische und persönliche Erzählstränge. Der Roman bietet einen faszinierenden Einblick in die familiären und gesellschaftlichen Verhältnisse während der DDR-Zeit. Die Autorin gelingt es, Historisches mit persönlichen Erinnerungen zu verweben und so ein eindrucksvolles Bild ihrer Vorfahren und ihrer Zeit zu zeichnen.
Diese vielschichtige Erzählung verspricht nicht nur spannende Einblicke in die Welt der Architektur, sondern bietet auch eine fesselnde Geschichte über menschliche Beziehungen und den Zeitgeist einer vergangenen Ära, die bis heute nachwirkt.