Peking manipuliert offenbar seine Wachstumszahlen, und ein hochrangiger Ökonom wird für seine offenen Worte von Präsident Xi Jinping zur Rede gestellt. In China ist Kritik an der offiziellen Wirtschaftspolitik eine ernsthafte Angelegenheit.
Gao Shanwen, Chefvolkswirt der staatlichen Investmentholding SDIC, äußerte sich kürzlich auf einer Konferenz in Washington zu den fragwürdigen Wachstumszahlen Chinas. Seine Einschätzung, dass die tatsächliche Wachstumsrate in den letzten Jahren bei etwa 2 Prozent gelegen haben könnte, steht im krassen Gegensatz zur offiziellen Zahl von fast 5 Prozent. Diese kühne Aussage bringt ihn in direkte Konflikte mit der chinesischen Regierung.
Wie das “Wall Street Journal” berichtet, hat Xi Jinping auf Gaos Kommentar reagiert, indem er eine Untersuchung und Disziplinarmaßnahmen gegen den Ökonomen anordnete. Gao erhielt ein öffentliches Auftrittsverbot, und eine für dieses Wochenende geplante Veranstaltung an der Nankai-Universität wurde abgesagt.
Gao, der die Regierung oft beraten hat, überschritt eine geheime Grenze, indem er die offizielle Wachstumsprognose in Frage stellte. In China wird die wirtschaftliche Realität von der Führung bestimmt, die am Jahresende Wachstumsziele festlegt, die dann scheinbar korrekt erfüllt werden. Gao hat damit gegen die unausgesprochene Regel des Staatskapitalismus verstoßen: Die Partei hat immer recht, und Präsident Xi Jinping darf nicht widersprochen werden.
Analysten zweifeln an den offiziellen Wachstumszahlen
Die Zweifel an Chinas offiziellen Wachstumsdaten sind nicht neu. Analysten betrachten diese Zahlen zunehmend skeptisch und verlassen sich stattdessen auf schwerer zu manipulierende Indikatoren wie den Energieverbrauch und das Transportvolumen, um die wirtschaftliche Lage realistisch einzuschätzen.
Chinas ehemaliger Premierminister Li Keqiang setzte sogar lieber auf alternative Indikatoren, um die wirtschaftliche Realität zu erfassen. Die schlechte Reputation der chinesischen Statistik wächst, insbesondere nach der lebenslangen Haftstrafe für den ehemaligen Chefstatistiker wegen Bestechung. Immer wieder äußern Parteifunktionäre im Verborgenen, dass die Zahlen stark geschönt sind.
Die harsche Reaktion von Xi Jinping auf Gaos Äußerungen ist nicht nur eine Frage der Wahrheit, sondern auch eine Reaktion auf die aktuelle wirtschaftliche Lage. Chinas Wirtschaft hat sich nach der Covid-Pandemie nie richtig erholt, und überall verfallen Immobilienprojekte in Geisterstädte. Die Verschuldung der Haushalte steigt, während die größte Immobilienkrise des Landes droht, die Wirtschaft weiter zu lähmen.
Wirtschaftsstrategien unter Druck
Um die drohende Wirtschaftskrise abzuwenden, präsentiert Xi offiziell eine “moderat lockere Geldpolitik” und “proaktive Fiskalpolitik”. In diesem Zusammenhang versucht China, finanzielle Mittel bereitzustellen, um die Wirtschaft über Wasser zu halten. Ähnliche Maßnahmen wurden seit der Finanzkrise 2008 nicht mehr gesehen.
Es bleibt jedoch fraglich, ob diese Strategien ausreichen. Die Erzeugerpreise sinken seit über zwei Jahren, und das Land ist an einem kritischen Punkt, an dem die Befürchtungen über eine japanische Wirtschaftsdepression wachsen. Zum Beginn des neuen Jahres erlebten die Aktienmärkte in China den stärksten Rückgang seit einem Jahrzehnt.
Gao stellte nicht nur die offiziellen Wachstumszahlen in Frage, sondern äußerte auch Zweifel an der Fähigkeit der Führung, die aktuelle Krise zu bewältigen. “Ich denke nicht, dass sie in der Lage sind, ihre Versprechen zu erfüllen”, sagte Gao.
Chinas Weg zur Weltmacht
Die Kritik kommt zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt für Xi Jinping, der ambitionierte Pläne zur Erschaffung einer Weltmacht verfolgt. Mit dem Ziel, die USA als größte Volkswirtschaft zu überholen und bis 2035 die Wirtschaftsleistung zu verdoppeln, benötigt er ein jährliches Wachstum von etwa 5 Prozent. Xis politische Glaubwürdigkeit hängt daher an den Zahlen, die Gao gewagt hat, in Frage zu stellen.