Einige Unternehmen bieten ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit, kurzfristig freizunehmen, wenn sie unmotiviert oder erschöpft sind, ohne dafür Urlaubstage nutzen oder eine Krankmeldung vorlegen zu müssen. Arbeitspsychologe Ludwig Andrione erläutert die Chancen und Herausforderungen dieses Ansatzes und gibt Tipps, wie Arbeitgeber dafür sorgen können, dass solche unmotivierten Tage nicht nötig sind. Andrione ist Leiter der Sektion Wirtschaftspsychologie und Gründer der Fachgruppe New Work.
ECNETNews: Herr Andrione, hatten Sie heute Lust zu arbeiten?
Ludwig Andrione: Ich arbeite gerne und habe Freude an meinem Beruf. Ich bin mir jedoch bewusst, dass ich hierbei zu den Privilegierten gehöre.
Einige Arbeitgeber bieten sogenannte Reset-Tage an. Werden sich solche Modelle verstärkt durchsetzen?
Ich glaube, dass flexible Arbeitszeitregelungen zunehmend üblich werden. Die Möglichkeit, gelegentlich einen Vormittag oder ganzen Tag für private Angelegenheiten freizunehmen, wird sich sicher etablieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass Arbeitgeber ein oder zwei Urlaubstage streichen und stattdessen die Option bieten, diese nach Absprache kurzfristig zu nutzen. Das funktioniert jedoch nicht in allen Branchen, zum Beispiel in der Gastronomie oder Logistik. Auch der Begriff Null-Bock-Tage ist meiner Ansicht nach unglücklich.
Warum finden Sie den Begriff “Null-Bock” problematisch?
Der Begriff vermittelt den Eindruck, dass man in einem Job arbeitet, der keinen Spaß macht. In einer Zeit, in der viele glauben, überall ihren Traumjob finden zu können, könnte das Angebot solcher Tage nachteilig wirken. Stattdessen sollte das Ziel der Arbeitgeber sein, dass ihre Mitarbeitenden motiviert sind.
Wie können Arbeitgeber die Motivation ihrer Mitarbeitenden steigern und ein gesundes Arbeitsumfeld schaffen?
Zunächst sollten die Arbeitszeitgesetze bezüglich Ruhezeiten und Pausen eingehalten werden — das ist nicht überall der Fall. Ein angemessener Freizeitausgleich für Mehrarbeit ist genauso wichtig, wie wertschätzende Führungskräfte und ein gutes Sozialklima. Eine vertrauensvolle Teamatmosphäre lässt Raum für individuelle Bedürfnisse, wie etwa das gelegentliche Bedürfnis nach Erholung. Arbeitszeiten im Homeoffice können ebenfalls zur Regeneration beitragen.
Welche Stressfaktoren belasten Arbeitnehmer?
Zu den häufigsten Stressoren zählen übermäßige und oft unnötige Informationen, Multitasking, komplizierte bürokratische Abläufe, unklare Entscheidungsstrukturen sowie Softwareprobleme und Mehrarbeit durch den Fachkräftemangel.
Wie groß ist das Konfliktpotenzial bei Null-Bock-Tagen?
Das Konfliktpotenzial hängt stark von der internen Kommunikation und der Unternehmenskultur ab. Bei einer offenen und respektvollen Firmenkultur können solche Tage eine sinnvolle Ergänzung darstellen, vorausgesetzt, sie sind im Team abgestimmt.
Gehen solche Maßnahmen nicht auch im Interesse der Arbeitgeber?
Alle Initiativen, die das Arbeitsumfeld verbessern und gesünder gestalten, sind von Vorteil für alle Beteiligten. Ein freier Tag kann sich positiv auf die Produktivität auswirken, wenn er gut genutzt wird.
Wie sieht es mit der Arbeitsmoral der Deutschen aus?
Ich glaube nicht, dass die Arbeitsmoral der Deutschen heute schlechter ist als früher. Der Eindruck von nachlassender Leistungsbereitschaft hängt oft von der Wahrnehmung verschiedener Generationen ab. Tatsächlich erleben sowohl jüngere als auch ältere Menschen Veränderungen in ihren beruflichen Ansprüchen und Motivationen.
Welche Rolle spielen junge Menschen in der heutigen Arbeitswelt?
Junge Menschen sind oft Innovationsmotoren. Wenn ihnen Möglichkeiten zur Mitgestaltung versperrt werden, verlieren sie schnell das Interesse an ihrem Job. Unternehmen sollten Strukturen schaffen, die Innovation zulassen und die Meinungen aller Altersgruppen respektieren.
Erleben Arbeitnehmer tatsächlich immer mehr Stress?
Die technologische Entwicklung beeinflusst die Arbeitswelt stark und führt häufig zu erhöhter Stressbelastung, da die Vielfalt der Kommunikationskanäle noch relativ neu ist und viele nicht wissen, wie man damit umgeht.
Welche Strategien helfen, mit digitalen Medien umzugehen?
Blocker im Terminkalender für fokussierte Arbeitszeiten, Sprechzeiten, das Deaktivieren von Benachrichtigungen und das Trennen von privatem Handy und Arbeitsumfeld können helfen, die Produktivität zu steigern. Geplante Pausen zur Erholung sollten bewusst genutzt werden, um Stress abzubauen.
Liegt der Trend zu weniger Arbeitsstunden auch am Fachkräftemangel?
Das könnte durchaus der Fall sein. Oft bedeutet weniger Arbeitszeit nicht weniger Arbeit, was eine Herausforderung darstellt.
Was könnte Menschen dazu bringen, mehr zu arbeiten?
Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wie flexible Kinderbetreuung oder Homeoffice-Möglichkeiten, würde vielen Menschen helfen, die Arbeitszeit aufzustocken. Eine wertschätzende Unternehmenskultur spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Was ist mit Menschen, die keine Pflegeverantwortung haben?
Für Arbeitnehmer, die aus anderen Gründen in Teilzeit sind, kann eine freundliche, respektvolle Unternehmenskultur motivierend wirken. Die Arbeit sollte positiv erlebt werden und das Gefühl vermitteln, gebraucht zu werden. Arbeitgeber sollten in schwierigen Zeiten in die Entwicklung ihrer Mitarbeiter investieren, um deren Loyalität zu fördern.