Zunehmende Pflegebedürftigkeit und steigende Kosten: Bundesrat entscheidet über höhere Pflegebeiträge, um Zahlungsausfälle zu vermeiden.
Nur zwei Tage nach dem Zerfall der Ampelkoalition hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach eine eilige Mitteilung abgegeben. Geplant war ursprünglich eine gesetzliche Anhebung der Pflegebeiträge um 0,2 Prozentpunkte. Die aktuelle Situation zwingt jedoch zur Eile.
Ohne die FDP kann dieses Vorhaben nicht mehr umgesetzt werden. Laut Lauterbach ist eine Notverordnung nötig, um die finanziellen Probleme der Pflegekassen zu lösen. “Sollte der Bundesrat die Erhöhung blockieren, droht einigen Kassen die Zahlungsunfähigkeit”, warnt er.
Ein solches Szenario darf nicht eintreten: Pflegebedürftige könnten ohne Unterstützung dastehen, während Pflegeeinrichtungen in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Der Bundestag hat bereits eine Notmaßnahme verabschiedet. Der Bundesrat wird heute über deren Umsetzung entscheiden, und es wird allgemein erwartet, dass die Zustimmung erfolgt.
Fehlende umfassende Pflegereform
Trotz dieser Maßnahmen bleibt das Grundproblem bestehen: Eine umfassende Pflege-Reform ist bislang nicht in Angriff genommen worden. Lauterbach bezeichnet dies als “Kollateralschaden” der politischen Instabilität. Die meisten Experten in Berlin hatten jedoch nicht mit umfassenden Reformen gerechnet.
Experten sind sich einig, dass die nächste Regierung mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert sein wird. “Die Pflegeversicherung auf eine solide finanzielle Basis zu bringen, wird eine der großen Aufgaben im kommenden Jahr sein”, erklärt ein Sprecher der Gesetzlichen Krankenkassen.
Zunehmende Anzahl an Leistungsberechtigten
Seit der Einführung der Pflegeversicherung vor fast 30 Jahren hat sich die Zahl der Pflegebedürftigen erheblich erhöht, was zu steigenden Kosten führt. Im vergangenen Jahr erhielten 5,2 Millionen Menschen Leistungen aus der Pflegeversicherung, eine Verfünffachung im Vergleich zu 1995.
Diese Zunahme ist auch das Ergebnis einer Pflegereform von 2017, die eine breitere Definition von Pflegebedürftigkeit umfasste und somit auch Personen mit Demenz besser absicherte.
Hohe Eigenanteile für Pflegebedürftige
Die Pflegeversicherung bietet Unterstützung für Menschen, die im Alltag Hilfe benötigen, jedoch deckt sie nicht alle anfallenden Kosten ab. Im Durchschnitt müssen Pflegebedürftige derzeit etwa 2.900 Euro pro Monat aus eigener Tasche zahlen.
Trotz der Bemühungen der Regierung, die steigenden Kosten durch eine Gesetzesinitiative zu begrenzen, sehen viele Sozialverbände die Maßnahmen als unzureichend an. Die Kürzungen gleichen nicht einmal die Inflation aus.
Pflegeversicherung erfüllt ihre Funktion nicht mehr
Experten sind sich einig, dass die bisherigen Reformen wenig bewirken. Trotz steigender Beiträge für Versicherte steigen auch die Eigenanteile für Pflegebedürftige, was die ursprüngliche Zielsetzung der Pflegeversicherung, der Verarmung aufgrund von Pflegebedürftigkeit entgegenzuwirken, in Frage stellt.
Weitere Teile der jüngsten Reform treten erst 2025 in Kraft, wobei Verbesserungen für pflegende Angehörige vorgesehen sind. Diese sollen durch verbesserte Entlastungen und eine bessere Organisation der Kurzzeitpflege profitieren. Die Verfügbarkeit dieser Plätze bleibt jedoch eine Herausforderung.
Der Druck auf Lauterbach steigt
Gesundheitsminister Lauterbach ist sich der Notwendigkeit von umfassenden Reformen bewusst: “Uns läuft die Zeit davon”, sagt er. Sollte keine grundlegende Änderungen erfolgen, könnten die Eigenanteile bald untragbar werden.
Lauterbach hatte Vorschläge für Obergrenzen der Eigenanteile ins Gespräch gebracht, stieß jedoch auf Widerstand innerhalb der Koalition. Die Diskussion darüber, wie steigende Kosten gedeckt werden sollen, bleibt ebenso kontrovers.
Pflegeforscher fordern, dass vermehrt Steuermittel in die soziale Pflegeversicherung geleitet werden müssen, um zukünftigen Herausforderungen zu begegnen.
Politische Perspektiven zur Pflegeversicherung
Eine Zusammenlegung der gesetzlichen und privaten Pflegeversicherung wird diskutiert. Dies könnte eine einheitliche Finanzierung für alle Bürger schaffen, was insbesondere von SPD, Grünen und Linken favorisiert wird.
Die SPD plädiert dafür, die Eigenanteile für Pflege in Seniorenheimen auf 1.000 Euro zu begrenzen, wobei zusätzliche Kosten für Unterkunft und Verpflegung bestehen bleiben.
Auch die sozialen Parteien fordern mehr Steuermittel für die Pflegeversicherung, eine Meinung, die von verschiedenen politischen Gruppen geteilt wird.
Die CDU und die FDP sind offen für Maßnahmen, setzen jedoch auf private Vorsorgeoptionen. Die Einigung auf eine langfristige Lösung könnte angesichts des Zeitdrucks eine Herausforderung darstellen.