interview
Die Ministerpräsidenten beraten heute über Migration. Migrationsforscher Gerald Knaus betont, dass Änderungen im deutschen Recht wenig bewirken würden. Stattdessen sollte der Fokus auf Lösungen mit Drittstaaten liegen.
Michael Kretschmer: Sachsens Ministerpräsident betont, dass Deutschland realistisch prüfen sollte, welche Leistungen im Bereich Migration möglich sind.
Gerald Knaus: Ein zentraler Aspekt der aktuellen Diskussion wird häufig übersehen: Die letzten zwei Jahre waren historisch außergewöhnlich. Deutschland hat in den Jahren 2022 und 2023 mehr Menschen Schutz gewährt als jemals zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik.
Der Hauptgrund für die spürbare Überforderung in vielen Kommunen liegt hingegen im Ukraine-Konflikt. Da ukrainische Flüchtlinge keinen Asylantrag stellen müssen, hat Deutschland in dieser Hinsicht nur begrenzte Einflussmöglichkeiten. Auch die Zahl der Asylsuchenden, vor allem aus Syrien und Afghanistan, ist gestiegen, wobei viele von ihnen Schutz erhalten.
Der Zusammenbruch der EU-Türkei-Erklärung im Jahr 2020 hat zudem zu einem Anstieg der Flüchtlingszahlen geführt. Dies schafft eine historisch einzigartige Situation in Deutschland, geprägt durch die ukrainische und syrische Flüchtlingskrise.
Zur Person
Gerald Knaus leitet in Berlin die Denkfabrik European Stability Initiative und berät Regierungen zu Themen rund um Migration und Flucht. Er gilt als einer der Hauptarchitekten des EU-Türkei-Abkommens.
Michael Kretschmer: Der sächsische Ministerpräsident schlägt vor, das Grundrecht auf Asyl zu prüfen und eine entsprechende Verfassungsänderung ins Auge zu fassen, um einen „Asylfrieden“ zu schaffen. Ist dies der richtige Weg?
Knaus: Eine Änderung würde wenig bewirken, da das Asylrecht im EU-Recht verankert ist. Ein Teil der Regelung ist, dass Menschen nicht in gefährliche Situationen, wie sie derzeit in Syrien bestehen, zurückgebracht werden dürfen. Diese Bestimmungen werden von deutschen und europäischen Gerichten weiterhin verteidigt.
Änderungen im deutschen Asylrecht würden nicht die gewünschten Ergebnisse bringen, da die meisten Menschen, die nach Deutschland kommen und Schutz benötigen, nicht abgeschoben werden können.
Lösungen sind gefragt. In Anbetracht des dringlichen Appells des Ministerpräsidenten müssen sich Partei-Mitte bewegen, und ich verstehe dies. Das Grundsatzprogramm der CDU enthält jedoch bereits bessere Vorschläge, um sichere Drittstaatslösungen zu schaffen.
Solche Ansätze halfen bereits seit 2016, die Zahlen nachhaltig zu reduzieren. Deutschland sollte wieder sicherere Drittstaaten ermöglichen, eine Forderung der CDU, die in den letzten Jahren nicht erfüllt wurde. Diese Themen sollten bei den heutigen Beratungen der Ministerpräsidenten im Mittelpunkt stehen.
Michael Kretschmer: Ein Teil der Diskussion befasst sich auch mit den Möglichkeiten, abgelehnte Asylsuchende konsequent abzuschieben. Gibt es klare Pläne dafür?
Knaus: Wir haben im Wesentlichen zwei Optionen: Entweder wir betrachten das derzeitige System, bei dem die Menschen zu uns kommen und wir ihren Schutzbedarf über einen langen Zeitraum prüfen, oder wir implementieren ein System von Rückführungen ab einem bestimmten Datum, das illegale Migration drastisch reduzieren könnte.
Ein strategisches Vorgehen, ähnlich dem EU-Türkei-Abkommen von 2016, könnte auch in Zukunft umgesetzt werden. Damit könnte man ohne Menschenrechtsverletzungen signifikante Fortschritte erzielen.
Michael Kretschmer: Sie waren Mitinitiator des Flüchtlingspakts zwischen der EU und der Türkei. Benötigen wir mehr solcher Abkommen mit Nicht-EU-Ländern?
Knaus: Aus den bisherigen Erfahrungen wissen wir, dass nur strategische Abkommen wie die Einigung mit der Türkei nachhaltige Ergebnisse erzielt haben. Diese Vereinbarungen führten zu einem signifikanten Rückgang von Asylanträgen in Deutschland. Es ist entscheidend, ähnliche Vereinbarungen mit mehreren Ländern zu schließen, um menschliches Schlepperwesen zu reduzieren und die reguläre Migration zu fördern.
Ein flexibles System, das legale Wege zur Einreise legt, könnte deutlich humaner gestaltet werden. Dies wird von mehreren politischen Parteien diskutiert und gefordert.
Die zentrale Frage heute beim Treffen der Ministerpräsidenten ist, ob die politische Elite erkennt, was tatsächlich von Bedeutung ist und Lösungen zur Reduzierung der Zahlen im nächsten Jahr vorschlagen kann.